Daniela Memar-Khasse ist Senior Strategist bei MW Office und befasst sich mit Pharmamarketing und E-Commerce. Sie findet, dass Pharmafirmen in Sachen E-Commerce mehr tun müssen, um die Kontrolle über ihre Marke und ihre Produkte zu behalten – vor allem vor dem Hintergrund, dass Amazon Pharmacy in Deutschland in den Startlöchern steht.
Hier lesen Sie:
- Wie E-Commerce sich auf den Verkauf von Arzneimitteln auswirkt,
- wie Konsumentenverhalten den Markt verändert,
- welche Besonderheiten es auf dem Commerce-Markt in Bezug auf Arzneimittel gibt,
- wie sich der deutsche Markt durch Amazon Pharmacy verändert,
- was das für die Pharmafirmen bedeutet und
- wie sie sich am besten darauf vorbereiten und Kontrolle über ihre Marke und Produkte behalten.
Health Relations: Warum werden Online-Distributionskanäle für Pharmafirmen wichtiger?Daniela Memar-Khasse:Wir bei dentsu und MWO beobachten, dass die jüngsten Krisen unserer Zeit großen Einfluss auf Trends und die gesamtgesellschaftliche Entwicklung nehmen. Denken wir nur allgemein an Digitalisierung und E-Health oder das E-Rezept. Das verändert natürlich auch irgendwo Verhalten und Erwartungen. Verbraucher und auch die Zielgruppen unserer Kunden sind digital versierter, anspruchsvoller und ungeduldiger geworden! Sie erwarten eine zeitgemäße Online-Präsenz und Verfügbarkeit. Das spiegelt sich übrigens auch in den Kampagnen unserer Kunden wider, sie erhöhen ihren Online-Share. Und auch unsere E-Commerce-Kollegen von dentsu bestätigen den Anstieg der Budgets für Retail-Kampagnen. Der Erfolg von Online-Vergleichsportalen wie Check24 oder Otto.de und eben Amazon skizzieren das ganz deutlich.
Health Relations: Wie verändert E-Commerce den Verkauf von Arzneimitteln?Daniela Memar-Khasse: Ich finde, dass wir uns bei dieser Frage mitten in der "Henne-Ei-Diskussion" befinden. Ich denke nicht, dass E-Commerce uns oder den Verkauf von Produkten verändert. Ist E-Commerce inzwischen nicht eher eine Frage von zeitgemäßem Service-Angebot auf aktuelle "Umweltbedingungen" und einhergehende relevante Consumer-Bedürfnisse? Also vor allem, wenn man dies im Kontext des Arzneimittelverkaufs via E-Commerce-Plattformen betrachtet.
Health Relations: Können Sie das mit einem Beispiel erklären?Daniela Memar-Khasse: Denken Sie beispielsweise an das Apothekensterben im ländlichen Raum oder Versorgungsengpässe mit Basis-Präparaten ... über eine Online-Apotheke oder Amazon habe ich als Verbraucher sofort die Information hinsichtlich Verfügbarkeit und bekomme die Ware auch noch bis zur Haustüre gebracht. Ist das nicht viel bequemer und zeitgemäßer?
Health Relations: Sicher, aber es gibt ja auch den umgekehrten Effekt: Das Konsumentenverhalten verändert sich und darauf müssen wiederum Hersteller, in diesem Fall Pharmafirmen, reagieren.Daniela Memar-Khasse: Wie eingangs bereits erwähnt, werden wir als Verbraucher immer digitaler. Fast jeder, bis ins höhere Alter, verfügt über ein Smartphone und kann damit souverän umgehen. Wir schätzen den bequemen mobilen Online-Einkauf mit kurzen Click-Wegen. Gerade, wenn ein Kundenkonto hinterlegt ist, führt der kurze Click-Flow zu einer positiven Customer Experience.
"Online-Apotheken oder eCommerce-Plattformen wie Amazon haben die Strukturen für den Medikamente-Kauf per Click schon lange perfektioniert und wir alle honorieren das."
Health Relations: Gibt es eigentlich Auffälligkeiten für den Commerce-Markt in Bezug auf Arzneimittel?Daniela Memar-Khasse: Das Besondere ist, im Gegensatz zu anderen digitalen Angeboten, sind bei Online-Apotheken-Usern nicht die unter 40-Jährigen stark vertreten, sondern alle Altersgruppen darüber!
Health Relations: Woran liegt das?Daniela Memar-Khasse: Was einfach und erfolgreich funktioniert, behalten wir bei und integrieren es in unseren Alltag. Online-Apotheken oder E-Commerce-Plattformen wie Amazon haben die Strukturen für den Medikamente-Kauf per Click schon lange perfektioniert und wir alle honorieren das.
Health Relations: Welche Konsequenzen hat das für die Platzierung von Produkten und deren Präsenz?Daniela Memar-Khasse: Die Marken sind gefordert, mit diesen Erwartungen Schritt zu halten! Über 50 Prozent aller Produkt-Suchen findet nicht mehr über klassische Suchmaschinen wie Google oder Bing statt. Das etablierte Einkaufsverhalten ändert sich. Die User suchen direkt auf Marktplätzen mit hoher Vielfalt und Auswahl – natürlich auch auf Amazon. Immer mehr unserer dentsu-Netzwerk-Kunden erkennen die Notwendigkeit und realisieren eine eigene E-Commerce-Präsenz und erste Kampagnen. Marken, die den Distributionskanal E-Commerce noch nicht nutzen oder aufbauen, werden langfristig aus dem "Relevant Set" verdrängt und riskieren Markt-Anteils-Verluste. Es geht um Sichtbarkeit und Präsenz, denn es wird gekauft, was online verfügbar ist!
Health Relations: In den USA ist Amazon Pharmacy schon etabliert. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis man es hierzulande auch nutzen kann. Wie wird sich der Markt durch Amazon Pharmacy verändern?Daniela Memar-Khasse: Nun, das ist noch schwer vorhersehbar. Sicher ist jedoch, dass für Amazon der Kundenservice und positive Einkaufserlebnisse an erster Stelle stehen.
Health Relations: Sind die Kund:innen denn schon bereit für so ein Angebot? Würden sie es annehmen?Daniela Memar-Khasse: Eine aktuelle Appinio-Umfrage zeigt, dass die Verbraucher für Amazon bereit sind. 62 Prozent der Deutschen sagen Ja zu OTC via Amazon und 49 Prozent, d. h. jeder Zweite würde sein Rezept für RX-Präparate auf Amazon einlösen. Eigentlich klingt dies nach einer weiteren Amazon-Erfolgsgeschichte in Deutschland. Auch weil Deutschland zu den wenigen Ländern in der EU zählt, in denen der digitale Handel auch verschreibungspflichtiger Medikamente erlaubt ist.
Was ist Amazon Pharmacy?
Mit Amazon Pharmacy hat der Konzern einen Service eröffnet, der derzeit noch nicht in Deutschland verfügbar ist. Der Service ermöglicht es Kund:innen, verschreibungspflichtige Medikamente bequem online zu bestellen und direkt nach Hause liefern zu lassen. Um diesen Service zu nutzen, ist ein Amazon-Konto erforderlich. Nutzer:innen können ein „sicheres Apothekenprofil“ einrichten, in dem sie wichtige Informationen wie Krankenversicherungsdetails, medizinische Probleme und Allergien sowie regelmäßig benötigte Verschreibungen hinterlegen.
Health Relations: Sie sagten eben, dass man noch nicht voraussagen kann, wann genau Amazon Pharmacy kommt. Warum sollten sich Pharmafirmen dennoch damit beschäftigen?Daniela Memar-Khasse: Wir bei MWO wissen, dass unsere Kunden bzw. Pharmahersteller schon immer viel Budget und Aufwand in Markenpflege sowie Produktpräsentation investieren, v.a. in Produktschulungen für Außendienst, PTAs, etc. Die „Verantwortung“ für die eigene Produktpräsentation bzw. ihre "Brand Health" sowie Abverkaufs-Steuerung auf Online-Plattformen werden bisher Drittanbietern wie Apotheken überlassen. Fast immer befindet sich das in der Apotheke distribuierte Produkt, dann auch im E-Commerce wieder. Die eigenen Produkte sind spätestens jetzt auch den Regeln und Wettbewerbs-Mechaniken des E-Commerce ausgesetzt. Oft mit großen Nachteilen für Absatzkontrolle und Branding, da sich der Eigentümer nicht kümmert... Wir sprechen unsere MWO-Kunden gezielt an und beraten sie aktiv für individuelle, ganzheitliche Kommunikations-Lösungen. Erst vor kurzem haben wir eine unserer digitalen MWO Expert:innen Lounges dem Thema "Healthcare-Branche im E-Commerce" gewidmet. Die Resonanz war groß, wir haben einen Nerv getroffen!
Health Relations: Was raten Sie Ihren Kunden – Wie können sie diese auf den Amazon-Markteintritt vorbereiten und wie können sie die von Ihnen beschriebenen Nachteile vermeiden?
Daniela Memar-Khasse: Das Allerwichtigste ist, "die Hoheit" über die eigene Marke oder ihr Produkt zurückzugewinnen, indem die Hersteller selbst einen Amazon-Account eröffnen und ihre Marke dort registrieren. Sie sollten die Übergangszeit bis zum Start von Amazon Pharmacy nutzen, um erste Gehversuche zu machen. Unserer Erfahrung mit eigenen Kund:innen zeigt, dass dieser eigentlich "kleine Schritt" für Marketer:innen, oftmals ein „großer Schritt“ für die Pharma und Healthcare-Branche ist. Denn viele glauben nicht selbst als Hersteller aktiv sein zu dürfen oder Zwischenhändler negativ auf eine eigene Präsenz reagieren. Dabei ist das Gegenteil der Fall – alle gewinnen, keiner wird benachteiligt oder bevorzugt!
Health Relations: Warum können sie auf diese Weise viel Kontrolle über ihre Marken- und Produkt-Präsentation auf Amazon behalten?Daniela Memar-Khasse: Nun, wie gesagt, die Hersteller müssen einen eigenen Seller Account eröffnen, die Marken und Produkte registrieren und idealerweise einen eigenen Brand Store eröffnen. All dies bedeutet nicht, dass sie auch aktiv verkaufen! Aber nur so können sie die Content-Hoheit über Produkt-Steckbriefe zurückgewinnen, wichtige Performance- und Ranking-Faktoren des eigenen Produktes kontrolliert oder beeinflussen. Den Abverkauf und ROI steuern ... Und genau darum geht es!
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