Das sind unsere Fragen

  1. Wie werden sich Video-Werbung und Social-Media-Werbung für Healthcare in der Patienten-bzw. Awarenesskommunikation und Arztkommunikation entwickeln?
  2. Ist Retail Media ein Werbethema für Pharma, trotz HWG?

Der Trendmonitor 2024, vorgestellt auf der DMEXCO in Köln, analysiert aktuelle Entwicklungen im digitalen Werbemarkt (wir berichteten). Das sind zwei der zentralen Aussagen.

  • Video-Werbung: Mediaagenturen prognostizieren einen Anstieg der Netto-Investitionen um 14 % bei Online-Videos über alle Geräte hinweg. Globale Streaming-Plattformen gewinnen dabei an Bedeutung.
  • Retail Media: Dieser Bereich wird weiterhin als „sehr bedeutend“ eingestuft, mit erwarteten Investitionssteigerungen von 24 %. Allerdings fordern Agenturen eine Professionalisierung hinsichtlich Standards, Transparenz und Wirkungsnachweisen.

Was bedeutet das für das Pharmamarketing und den Healthcare-Markt? Wir haben bei vier Expertinnen und Experten nachgefragt.

Karl-Georg Pfleger, Managing Partner der Frankfurter Mediaagentur Starcom aus dem Publicis-Netzwerk © Publicis

Relevanz von paid- supported organischen Kampagnen steigt

  1. Die grundsätzlichen Stärken optimierter, integrierter, wirksamer Video-Reichweiten bestehen für ein Erkältungsmedikament ebenso wie für ein Waschmittel. Die sich weiter verändernde Videonutzung muss dabei berücksichtigt und der Anteil digitaler Kanäle am Mediamix mit Blick auf ihre Relevanz optimiert werden. Auch für Fachzielgruppen bietet Bewegtbild eine Chance auf höhere Werbewirkung, wenn Investments generell steigen. Bei Social Media sehen wir, dass die im Markt stattfindende Diversifizierung der Plattformen nicht den möglichen Impact integrierter Kampagnen schmälert. Die Relevanz von paid-supported organischen Kampagnen wird weiter steigen. Im Fachbereich sehen wir diese Entwicklung, insbesondere bei der Ansprache von PTAs.
  2. Branchenbesonderheiten sind adäquat zu bewerten, so auch für den Einsatz von Retail Media. Das HWG ist kein Hindernis bei OTC-Produkten und Retail Media sollte hier integriert mitgedacht werden.
Porträt Linda-Maria Diodati, s/w
Linda-Maria Diodati, Managing Director MW Office MW Office

Video wächst

  1. Die Bedeutung von Video-Werbung im Healthcare-Bereich wird weiterhin stark zunehmen. Insbesondere in der Patientenkommunikation bietet Video enormes Potenzial, um medizinische Inhalte leicht verständlich und emotional ansprechend zu vermitteln. Social Media entwickelt sich dabei zu einem immer interaktiveren Kommunikationskanal, bei dem die Visualität bei der Patient:innenansprache in den Vordergrund tritt. Aufgrund des großen Potenzials von Videoformaten bieten wir unseren Kund:innen bereits eigene, unique Lösungen an. In der Kommunikation mit Ärzt:innen ist Video ein zentraler Bestandteil, vor allem in der Fort- und Weiterbildung sowie bei der Vermittlung komplexer Zusammenhänge wie Wirkmechanismen, Interaktionen oder Anwendungsbeispiele. Neben der Möglichkeit, wissenschaftliche Aspekte besser zu vermitteln, können Videoformate auch in der HCP-Kommunikation ein höheres Maß an Emotionalität und Authentizität vermitteln, wenn z.B. die Patient:innenperspektive thematisiert wird. 
  2. Retail Media kann, natürlich unter Berücksichtigung des Heilmittelwerbegesetzes (HWG), eine interessante Option für Pharmaunternehmen darstellen – der Fokus liegt dabei auf der Übermittlung von ganzheitlichen Gesundheitsinformationen, z.B. zum besseren Management einer Erkrankung, und weniger auf Produktwerbung. In diesem Zusammenhang sind Transparenz und Datenschutz von zentraler Bedeutung, um das Vertrauen sowohl der Patient:innen als auch der Fachkreise zu gewinnen und zu erhalten. Die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat verdeutlicht, welche strengen Anforderungen in Bezug auf den Umgang mit sensiblen Daten gelten.
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Walter Bischof, Geschäftsführer dpmedia GmbH © dpmedia

Kühn – oder gar viel zu bescheiden?

  1. Um darüber zu spekulieren, wie sich Video-Werbung und Social Media in der Patienten-Kommunikation entwickeln werden, hilft ein Blick auf das Mediennutzungsverhalten und die Lebenseinstellungen der Gen Y. Diese Generation ist vollständig mit digitalen Medien aufgewachsen und wird etwa um das Jahr 2030 in ihre Vierziger kommen. Spätestens ab dann steigt das persönliche Interesse an Gesundheitsthemen. Der tiefgreifende digitale Wandel im Pharmamarketing, der sich heute bereits vor unseren Augen abspielt, wird sich aller Voraussicht nach dann weiter beschleunigen. Daher ist die folgende Vision vielleicht gar nicht mehr so abwegig: Im Jahr 2030 hat sich das Pharmamarketing radikal weiterentwickelt. KI-generierte Pharmareferenten führen eigenständig Arztgespräche. Marketing-Budgets fließen in virtuelle Welten, wo Avatare von Ärzten und Patienten miteinander interagieren. Ethik-Algorithmen überwachen jede Marketingaktivität auf moralische Unbedenklichkeit. Wir werden sehen, ob das zu kühn oder gar viel zu bescheiden gedacht ist.
  2. Bevor wir einen Blick auf Retail-Media werfen, sollten wir uns einig sein, was wir damit meinen. Meine allgemeine Definition ist diese: Retail Media bezeichnet alle Werbemöglichkeiten, die Marken auf den analogen und digitalen Plattformen von Einzelhändlern nutzen, um gezielte Werbung an Kunden zu platzieren, während diese online oder in physischen Geschäften einkaufen. Nach dieser Lesart findet Retail-Media heute bereits statt und wird sicher in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Hauptgrund: das besonders hohe Involvement potenzieller Kunden während des Besuchs. Im OTC-Markt sehen wir das bereits massiv beim Besuch einer beliebigen Online-Apotheke – nicht selten über die Grenzen des Erträglichen hinaus. Und dabei stecken die Anwendungsmöglichkeiten künstlicher Intelligenz noch in den Kinderschuhen. Lernende Systeme werden sich künftig noch enger an die Interessen der Käufer anschmiegen und dadurch das Involvement noch weiter intensivieren. Im RX-Markt sind die Grenzen durch das HWG und die DSGVO noch enger gesteckt. Mit der Einführung der elektronischen Patientenakte und dem Ausbau personalisierter Medikamenten-Abgabe werden sich aber auch hier neue Möglichkeiten eröffnen.
Porträt Melanie Pieper - Managing Partner Performance/E-Commerce unserer Digitalagentur Kinesso
Melanie Pieper - Managing Partner Performance/E-Commerce, Digitalagentur Kinesso | IPG Mediabrands © IPG Mediabrands

Standards zur Messung des Erfolgs

  1. Videowerbung und Social Media gewinnen an Relevanz in der Kommunikation mit Patient:innen. Innovative Formate, darunter KI-generierte Avatare, unterstützen die Aufklärung über Krankheiten und fördern das Engagement in sozialen Netzwerken. Dieser Trend wird zunehmen, da Patient:innen sich in Gesundheitsfragen zunehmend informieren. In der B2B-Kommunikation ist dieser Trend jedoch noch nicht stark ausgeprägt.
  2. Gleichzeitig gewinnt Retail Media an Bedeutung: Online-Apotheken erleben einen Aufschwung, und der Anteil online bestellter Medikamente erreicht Rekordhöhen. Die Werbemöglichkeiten unterscheiden sich je nach Produktkategorie, wobei im OTC-Bereich mehr Spielraum besteht. Dennoch stehen die Akteure vor der Herausforderung, an Standards zur Messung des Erfolgs zu arbeiten, um die Wirksamkeit und Inkrementalität nachzuweisen und das Vertrauen in neue Werbeformate zu stärken.

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