Pharmaunternehmen sollten sich mit dem digitalen Direktvertrieb von Produkten beschäftigen. Viele Konsument:innen kaufen inzwischen direkt bei Markenshops, wenn diese ihre Bedürfnisse erfüllen. Wie Pharmaunternehmen durch D2C ihre Margen ausbauen und Kundeninsights gewinnen können, beschreibt Sven Korhummel, geschäftsführender Gesellschafter von cyperfection, in diesem Beitrag.
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Direct-to-customer-Geschäftsmodelle (D2C), ein Vertriebsweg, der direkt vom Hersteller zum Kunden führt, sind auf dem Vormarsch. Pandemie und Lockdown waren keine Auslöser, aber sie gaben dem bestehenden Trend noch einmal enorme Schubkraft. Das bestätigt auch eine
Studie des ECC Köln in Zusammenarbeit mit Publicis Commerce Germany im Frühjahr 2022. Digitale Markenshops sind demnach ein zentrales Element der Markenführung, das Potenzial, das D2C-Modelle in Deutschland noch entwickeln könnten, stuft die Studie als insgesamt sehr groß ein. Aus Verbrauchersicht erscheint das nachvollziehbar: 49 Prozent der deutschen Bevölkerung haben schon Erfahrungen mit D2C-Käufen gemacht.
Was ist D2C?
Eine D2C-Strategie umfasst den
Direktvertrieb von Gütern oder Dienstleistungen vom Hersteller zu Endkund:innen. Im Gesundheitskontext sind das Patient:innen bzw. Menschen, die digital nach freiverkäuflichen, gesundheitsfördernden Produkten suchen.
Die Beziehung zu Kund: innen wird auf digitalem Weg ohne jeden Zwischenhändler hergestellt – in letzterem liegt auch die Abgrenzung zum Begriff E-Commerce:
Denn hier kann durchaus ein Zwischenhändler via Marktplatz zwischengeschaltet sein, zum Beispiel eine Online-Apotheke. Bei D2C-Strategien steht der direkte Verkauf über den eigenen Webshop im Vordergrund.
Vorteile und Chancen von D2C-Modellen
"Cutting out the middle man" – der offensichtlichste Vorteil eines D2C-Modells ist der
Wegfall von Handelspartnern, wie Großhändlern, und die entsprechend höheren Margen, die sich erzielen lassen. Doch es gibt noch weitere Benefits: Unternehmen verringern die Konkurrenz durch Handelsmarken und reduzieren die Gefahr, dass der Handel – insbesondere neue – Produkte nicht listet. Was Corona mitsamt Lockdown deutlich gemacht hat: Ein Vertriebsweg, der nicht darauf angewiesen ist, dass Kund:innen physischen Zugang zum Einzelhandel haben, sichert im Extremfall das wirtschaftliche Überleben einer Marke.
D2C-Modelle gelten auch aus Gründen, die nicht so direkt ins Auge stechen als zukunftsweisend und chancenreich. Diese Punkte sind langfristig möglicherweise sogar noch wichtiger als höhere Margen. Vor allem betrifft das die
Gewinnung von Kundendaten sowie deren Auswertung und Nutzung. Der zweite Punkt ist die
Kontrolle über die Inszenierung der eigenen Marke:
Liegt die gesamte User Journey in den Händen des Herstellers, beinhaltet das die Chance, die eigene Kommunikation und die eigenen Services über alle Schnittpunkte hinweg nach eigenem Wunsch zu gestalten – und Kund:innen so ein Markenerlebnis ohne Brüche und Irritationen zu verschaffen.
Welche Vorteile hat D2C für Pharmaunternehmen?
Vielfältige Regularien lassen die Übertragbarkeit von D2C-Modellen auf den Gesundheitsbereich als zweifelhaft erscheinen – und im
RX-Bereich sowie bei apothekenpflichtigen Medikamenten trifft das auch zu. Für alle anderen Angebote innerhalb des Gesundheitsmarktes gilt das aber nicht. Im Gegenteil, gerade, weil diese Branche Neuerungen gegenüber traditionell zurückhaltend agiert, besteht jetzt noch die Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen und sich so Wettbewerbsvorteile und Marktanteile zu sichern. Welche Vorteile hat das für Pharma?
- Vertrauen gewinnen: Beim Online-Shoppen sind Nutzer:innen im Gesundheitsbereich eher zurückhaltend, etwa aus Furcht vor Produktfälschungen. Genau das lässt sich beim direkten Vertrieb durch Hersteller aushebeln – hier wissen Nutzer:innen genau, mit wem sie in Kontakt treten. Der Faktor Vertrauen ist bei Direktkäufen gerade im Consumer-Healthcare-Bereich ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt.
- Kundenbeziehungen aufbauen: Die direkten Kundenbeziehungen können langfristig Loyalität zur Marke erzeugen: Trust und Markenbindung sind wichtige Kaufargumente für Verbraucher:innen, wenn es um die Erhaltung ihrer Gesundheit geht. Der markeneigene Online-Shop kann hierbei unterstützen.
- Schlanker Vertrieb, schlanker Außendienst: Auch wenn der Consumer-Healthcare-Markt sich nicht auf Apotheken beschränkt, lassen sich am beispielhaften Vertriebsweg via Apotheke etliche Punkte verdeutlichen. Zwischenstationen, wie etwa der Großhandel, fallen weg. In diesem Zusammenhang ist aber auch mögliches Einsparpotenzial durch einen schlankeren Außendienst ein weiterer Aspekt.
- Schließung von PoS-Lücken: Die Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt langsam, aber sicher. Damit werden die angestammten potenziellen Points of Sale weniger. Diese Lücke selbst zu schließen, mit konsequent digitalen Mitteln, erscheint naheliegend.
- Kundenbedürfnisse erfassen: Dabei lässt sich auch eine der Schwächen des seit Jahrzehnten bestehenden Modells ausbügeln: Gesundheitsunternehmen kennen ihre Kund:innen und deren Bedürfnisse zurzeit im Prinzip nur aus zweiter Hand – im Gegensatz zur Apotheke vor Ort. Künftig können Pharmaunternehmen wertvolle Kundeninsights gewinnen und darauf basierend positive Kundenerlebnisse schaffen.
Mehr als nur Beifang: Daten und Insights
Je nach Handhabung und individueller Unternehmenssituation kann der
direkte Kontakt mit Nutzer:innen das wichtigste Argument für D2C sein: Aus der Option, potenzielle Kund:innen digital und direkt zu erreichen, ergibt sich eine immense Kosteneffizienz – denn das Sammeln und nutzbringende Auswerten von
First-Party-Daten schafft ungeahnte Möglichkeiten für Unternehmen.
Ein konsequent digitales D2C-Modell bietet so viele Optionen, Daten zu generieren, dass es fahrlässig wäre, diese nicht zu nutzen: Daten über das eigene Shop-System, Services und gängige Marketing-Tools wie Newsletter sind nur die offensichtlichsten Beispiele. Im Ergebnis lässt sich ein direkter Nutzen aus Insights zum Kundenverhalten und zu Vorlieben erzielen, mittelfristig sind das vor allem
Produktverbesserungen und eine gesteigerte Effizienz im Marketing.
Richtig durchgespielt schafft D2C eine 360-Grad-Perspektive auf die Customer Journey. Auf der nächsten Ebene werden die so gewonnen Daten wertschöpfend analysiert, um Bedürfnisse der Kund:innen aufzuschlüsseln und in der Produktentwicklung entsprechend zu reagieren. Das sollte das eigentliche D2C-Ziel sein.
Fazit: Herausforderungen annehmen
Die Generierung, Auswertung und Nutzung von Kundendaten sind, neben höheren Margen, die wichtigsten Gründe, über D2C-Geschäftsmodelle im Gesundheitsmarkt nachzudenken. Unternehmen, die sich in den letzten Jahren in der Digitalisierung und Customer Centricity gut aufgestellt haben, sind gut für eine D2C-Strategie gerüstet. Erfolgsentscheidend ist eine gründliche Analyse der gesamten Markt- und Wettbewerbssituation, die in einer stringenten Strategie mündet. Das System aus Großhändlern, Lieferanten und Einzelhandel besteht seit langem – um mit diesem gleichzuziehen, bedarf es kreativer Business-Lösungen auf allen Ebenen, von der Logistik bis zum Marketing. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer konsequenten Digitalisierung aller wesentlichen Prozesse. Generell sind solche Prozesse mit einem Umbau verbunden, für den Erfahrung notwendig ist, um die Hürden und die versteckten Nuggets vorab identifizieren zu können.
Über den Autor
Sven Korhummel ist seit über 25 Jahren einer der beiden geschäftsführenden Gesellschafter der in Ludwigshafen ansässigen Agentur für kreative Business-Lösungen cyperfection. Mit seinem knapp 50-köpfigen Team berät Sven Korhummel Kunden wie Roche, Engelhard Arzneimittel, Biologische Arzneimittel Heel, Dr. Falk, Fuchs Petrolub und Philips in allen Bereichen der digitalen Kommunikationsstrategie und Markeninszenierung.