Dr. Jörg Mütze, Veeva: „Die größte Herausforderung ist die Fragmentierung innerhalb der Unternehmen“
Die Pharmaindustrie steht vor einem digitalen Paradigmenwechsel: Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), harmonisierte Daten und innovative Plattformlösungen verändern das Pharmamarketing grundlegend. Dr. Jörg Mütze, Head of DACH Commercial Strategy bei Veeva, erklärt im Interview, wie Unternehmen von einer besseren Zusammenarbeit zwischen Sales, Marketing und Medical profitieren können, warum koordinierte Customer Journeys entscheidend sind und wie KI als Werkzeug für mehr Effizienz und Erfolg eingesetzt wird.
Health Relations: Die Pharmaindustrie befindet sich im digitalen Umbruch. Welche Rolle spielt dabei die Technologie von Veeva?
Dr. Jörg Mütze: Unser Ziel ist es, Pharmaunternehmen dabei zu unterstützen, die Zusammenarbeit zwischen Sales, Marketing und Medical zu optimieren. Mit unseren Technologien stellen wir sicher, dass jede Interaktion mit HCP aufeinander aufbaut und einen echten Mehrwert schafft. Das gelingt nur, wenn alle Beteiligten auf dieselbe Datenbasis zugreifen und mit integrierten Tools arbeiten. Unsere Plattform erlaubt es, Informationen aus verschiedenen Kanälen wie E-Mails, Callcenter-Anfragen oder persönlichen Besuchen zusammenzuführen. So kann etwa eine Pharmareferentin genau nachvollziehen, welche Interaktionen bereits stattgefunden haben und was das nächste sinnvolle Gesprächsthema ist.
Harmonisierung der Datenbasis: Der Schlüssel zu Effizienz und Erfolg
Health Relations: Warum ist diese Koordination so entscheidend für den Erfolg von Pharmaunternehmen?
Dr. Jörg Mütze:Eine synchronisierte Customer Journey ist essenziell, um Zeit effizient zu nutzen – ein zentraler Punkt angesichts der wachsenden Herausforderungen im Gesundheitswesen. Studien zeigen, dass 65 Prozent der Interaktionen mit Ärztinnen und Ärzten aktuell unkoordiniert ablaufen. Das bedeutet, dass Marketingkampagnen und Pharmareferentinnen und -referenten häufig widersprüchliche Botschaften senden oder Informationen doppelt übermitteln. Das hinterlässt bei Ärztinnen und Ärzten einen schlechten Eindruck und kostet wertvolle Zeit.
Wenn hingegen digitale und persönliche Interaktionen sinnvoll aufeinander abgestimmt sind, hat das messbare Auswirkungen. Daten aus den USA zeigen, dass eine koordinierte Ansprache die Verschreibungsrate eines Medikaments um bis zu 30 Prozent steigern kann. Das ist eine signifikante Zahl und verdeutlicht, wie wichtig es ist, ein einheitliches Bild zu schaffen. Die Grundlage dafür sind harmonisierte Daten und eine transparente Kommunikation.
Health Relations: Was sind die größten Hindernisse bei der Einführung solcher Technologien?
Dr. Jörg Mütze:Die größte Herausforderung ist die Fragmentierung innerhalb der Unternehmen. Viele große Pharmafirmen arbeiten in unterschiedlichen Ländern mit verschiedenen Systemen, die nicht miteinander kompatibel sind. Das führt nicht nur zu einem enormen Verwaltungsaufwand, sondern macht auch globale Datenanalysen oder den Einsatz von KI nahezu unmöglich. Hier haben kleinere Unternehmen oft einen Vorteil. Sie können auf der „grünen Wiese“ starten und von Anfang an ein einheitliches System implementieren. Dadurch erreichen sie eine höhere Agilität und Effizienz.
Große Unternehmen müssen hingegen ihre bestehenden Systeme konsolidieren. Das ist ein langwieriger Prozess, der Geduld und Investitionen erfordert. Doch der Aufwand lohnt sich: Mit einer gemeinsamen Datenbasis lassen sich nicht nur interne Prozesse verbessern, sondern auch die Qualität der Kundeninteraktionen deutlich steigern.
„Eine koordinierte Ansprache kann die Verschreibungsrate eines Medikaments um bis zu 30 Prozent steigern.“
Health Relations: Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz (KI) in Ihrer Arbeit?
Dr. Jörg Mütze:KI ist ein zentraler Bestandteil unserer Technologie, aber wir setzen sie gezielt ein. Der Fokus liegt auf Effizienzsteigerung. Ein Beispiel ist der MLR-Bot, der Dokumente vorab prüft und damit den Freigabeprozess beschleunigt. Ebenso können Pharmareferentinnen und -referenten KI nutzen, um ihre Gespräche zusammenfassen zu lassen oder Empfehlungen für den nächsten Schritt in der Customer Journey zu erhalten.
Allerdings ist uns wichtig, dass KI immer mit Bedacht eingesetzt wird. Es geht nicht darum, die Technologie um ihrer selbst willen einzuführen, sondern darum, echten Mehrwert zu schaffen. Eine erfolgreiche Einführung hängt davon ab, ob die Tools den Arbeitsalltag wirklich erleichtern. Deshalb starten wir meist mit kleinen Pilotprojekten, um zu testen, was funktioniert, bevor wir die Technologie in größerem Maßstab ausrollen.
Künstliche Intelligenz: Ein Werkzeug für Effizienz und Mehrwert
Health Relations: Die Diskussion um KI ist oft von Hype geprägt. Wie gehen Sie damit um?
Dr. Jörg Mütze:Das Phänomen kennen wir. Jede neue Technologie durchläuft einen sogenannten Hype-Cycle: Zunächst gibt es große Erwartungen, dann folgt oft Ernüchterung, bevor sich die ersten praktischen Anwendungen durchsetzen. Unser Ansatz ist es, mit kleinen, überschaubaren Projekten zu beginnen, die konkrete Probleme lösen. Effizienzthemen sind hier oft der Türöffner. Wenn Pharmareferentinnen und -referenten sehen, dass sie durch KI weniger administrative Aufgaben haben, steigt die Akzeptanz automatisch. Gleichzeitig bleiben wir realistisch: KI wird nicht alles sofort lösen, sondern sich schrittweise etablieren.
Health Relations: Wie sehen Sie die Zukunft des Pharmamarketings?
Dr. Jörg Mütze: Die Pharmaindustrie bewegt sich klar in Richtung spezialisierter und personalisierter Medizin. Das bringt viele Chancen, aber auch Herausforderungen mit sich. Medikamente werden komplexer, was den Erklärungsbedarf erhöht. Gleichzeitig steht immer weniger Zeit zur Verfügung. Hier können digitale Tools und KI helfen, diese Komplexität zu bewältigen und Ärztinnen und Ärzte effizient zu unterstützen.
Letztlich wird die Zukunft des Pharmamarketings davon abhängen, wie gut Unternehmen Technologie, Daten und Menschen miteinander verbinden. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Sales, Marketing und Medical ist dabei genauso entscheidend wie der ethische Umgang mit KI und Daten. Der Mensch muss immer im Mittelpunkt stehen – das bleibt für uns eine zentrale Leitlinie.