Dr. Julia Hoxha, CEO & Gründerin des KI-Startups Zana, leitet die AG Health beim KI Bundesverband. Im Interview spricht sie über Chancen und Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz (KI) für das Gesundheitswesen – und wieso sie die Gefahr einer Überregulierung sieht.
In diesem Interview lesen Sie,
Health Relations: Frau Dr. Hoxha, Sie leiten die AG Health beim KI Bundesverband (KIBV). Welche Ziele verfolgt die AG? Dr. Julia Hoxha:Mit der AG Health als Plattform konzentrieren wir uns auf drei Hauptziele: Erstens identifizieren wir in Online- und Präsenztreffen gemeinsame Probleme und Interessen. Zweitens stellen wir das Potenzial von Künstlicher Intelligenz (KI) durch Veröffentlichungen wie White Paper, Medienbeiträge und Veranstaltungen heraus. Und drittens geht es uns um Vernetzung und politisches Engagement. Wir wollen als politische Stimme agieren, um aktuelle Themen auf die öffentliche und politische Agenda zu setzen und unsere Werte im Gesundheitssektor zu vertreten.
KI Bundesverband
Mit mehr als 400 Mitgliedern ist der KI Bundesverband nach eigenen Angaben Deutschlands größtes KI-Netzwerk. Der Verband will innovative KI- und Deep-Tech-Unternehmen mit der etablierten Wirtschaft und Politik vernetzen.
Health Relations: Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?Dr. Julia Hoxha: Aktuell organisieren wir zum Beispiel eine Podikumsdikussion auf dem Digital Health Congress DMEA Berlin im April. Dort kommen Expert:innen aus etablierter Industrie, Akademie und Startups zusammen, um den Einsatz von „Explainable AI“ in realen Gesundheitsanwendungen zu thematisieren: Der inhärente Mangel an Erklärbarkeit in (generativen) KI-Modellen stellt eine Herausforderung dar, um zu verstehen, wie Entscheidungen getroffen werden. In der
Gesundheitsversorgung haben Transparenz und Verantwortlichkeit oberste Priorität. Die Unfähigkeit, KI-generierte Ergebnisse zu erklären, kann das Vertrauen und die Akzeptanz bei Ärzt:innen und Patient:innen beeinträchtigen.
Health Relations: Wo sehen Sie die derzeit größten Potenziale von KI für Healthcare und Pharma?Dr. Julia Hoxha:Die Auswirkungen von KI im Gesundheitswesen werden oft mit der Entdeckung von Penicillin als Heilmittel für verschiedene Krankheiten verglichen. Ich bin der Ansicht, dass KI die menschliche Intelligenz verstärkt und ergänzt, anstatt sie zu ersetzen. Wenn ich zwei Hauptbereiche hervorheben müsste, liegen die offensichtlichsten Innovationen zum einen im Bereich der vernetzten Versorgung: Mit dem „Ambient Assisted Living“ kommen zum Beispiel intelligente Geräte zur Messung vitaler Zeichen zum Einsatz oder Anwendungsfälle wie die Sturzerkennung. Ziel ist es, mehr Echtzeitdaten für eine effiziente Prävention und personalisierte Behandlung zu sammeln.
„Die Auswirkungen von KI im Gesundheitswesen werden oft mit der Entdeckung von Penicillin verglichen.“
Health Relations: Und der zweite Bereich?Dr. Julia Hoxha: Zum anderen wird im Bereich der Präzisionstherapeutika die KI-gestützte Arzneimittelforschung durch die Generierung neuer Molekülstrukturen und die Vorhersage ihrer Eigenschaften revolutioniert. KI-gesteuerte Algorithmen können riesige Datensätze analysieren, um potenzielle Wirkstoffkandidaten zu identifizieren und die Entwicklung neuer Medikamente beschleunigen.
Auch die KI-getriebene Gentechnik (CRISPR-Technologie) birgt großes Potenzial. Sie analysiert genomische Daten schnell und bietet durch Genschneiden präzise und effektive Gentherapiebehandlungen. Kürzlich erhielt sie die Zulassung der FDA für therapeutische Anwendungen bei verschiedenen Krankheiten.
Health Relations: Wie liegen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?Dr. Julia Hoxha: Das hängt stark vom Anwendungsbereich ab. Sollen KI-Systeme wichtige klinische Entscheidungen mit wenig menschlicher Aufsicht und direkten Auswirkungen auf die Gesundheit der Patient:innen treffen? Dann gilt es, robuste und zuverlässige Lösungen zu finden, die regelkonform, klinisch validiert und evidenzbasiert sind. Das erfordert sorgfältige Planung, hohe Investitionen in interdisziplinäres Fachwissen sowie finanzielle Kapazität.
Bei der internen Prozessoptimierung hingegen ist die Herausforderung, eine neue KI-Lösung in jahrelang entwickelte IT-Landschaften zu integrieren – und gleichzeitig Zeit- und Kosteneinsparungen nachzuweisen. Letztlich geht es darum, das Vertrauen in neuartige KI-Technologien zu stärken. Wir müssen Entscheidungsträger:innen in die Lage versetzen, KI leichter und effizienter einzusetzen.
Health Relations: Im Healthcare- und Pharmamarketing sind vor allem Generative KI-Anwendungen im Gespräch. Welche Entwicklungen sehen Sie als besonders relevant für den Gesundheitssektor an?Dr. Julia Hoxha:Hier hat die Generative KI bereits ihr Potenzial bewiesen, das Gesundheits- und Pharmamarketing zu transformieren: Sie ermöglicht personalisierte Kommunikation, verbessert Schulungen oder erleichtert die Patientenaufklärung.
Im Bereich der Inhaltegenerierung kann Generative KI ansprechende und informative Inhalte erstellen. Von Blog-Beiträgen über Social-Media-Inhalte bis hin zu Werbematerialien können KI-generierte Inhalte wichtige Botschaften effektiv an die Zielgruppen kommunizieren. In der personalisierten Vermarktung ermöglicht Generative KI die Erstellung von Materialien, die auf einzelne Patient:innen oder
Gesundheitsfachkräfte zugeschnitten sind. Durch die Analyse von Daten wie Patientendemografie, Krankengeschichte und Vorlieben kann KI personalisierte E-Mails, Anzeigen und Empfehlungen generieren.
Health Relations: Was gilt es in diesem sensiblen Umfeld zu beachten, wenn Unternehmen mit Generativer KI arbeiten wollen?Dr. Julia Hoxha:Dafür müssen mehrere Risiken sorgfältig bewertet werden. Erstens haben Generative KI-Modelle gezeigt, dass sie plausible, aber falsche Informationen generieren können – ein Phänomen, das als Halluzination bekannt ist. Dies birgt Risiken für die Erzeugung fehlerhafter Inhalte und falscher Fakten und erfordert menschliche Überwachung zur Qualitätssicherung. Zweitens gibt es Bedenken hinsichtlich Datenschutz und Sicherheit. Während Generative KI auf riesigen Datenmengen für das Training beruht, könnte die Aufnahme sensibler proprietärer Informationen Risiken für Missbrauch oder unbefugten Zugriff bergen.
„Fachkräfte müssen über das notwendige Wissen und die Fähigkeiten verfügen, um KI-Technologien effektiv einzusetzen.“
Deshalb sollten Gesundheits- und Pharmaunternehmen jetzt die KI-Kompetenz ihrer Belegschaft fördern. Wir bewegen uns auf eine Zukunft zu, in der KI eine integrale Rolle am Arbeitsplatz spielt. Fachkräfte müssen über das notwendige Wissen und die Fähigkeiten verfügen, um KI-Technologien effektiv
einzusetzen. Dieser Übergang zu einer KI-fähigen Belegschaft wird Unternehmen ermöglichen, das volle Potenzial von KI zu nutzen, während sie damit verbundene Risiken mindern und die Qualität ihrer Dienstleistungen steigern.
Health Relations: Mit Ihrem Unternehmen Zana haben Sie eine Technologieplattform entwickelt, die Konversations-KI mit medizinischem Wissen, mobilen Anwendungen oder Tools zur Datenerfassung zusammenbringt. Wie fließen Ihre Erfahrungen in die AG-Arbeit ein?Dr. Julia Hoxha:Ich bringe mein Wissen und die Erfahrungen ein, die ich als Gründerin und Geschäftsführerin eines KI-Startups auf die harte Tour gelernt habe: wie man sich in einem komplexen Ökosystem des Gesundheitswesens in Deutschland und Europa zurechtfindet. Wie man mit Fragen der Einhaltung von Vorschriften umgeht. Wie man relevante klinische Studien aufbaut oder Finanzierungsmöglichkeiten nutzt. Außerdem nutze ich mein Netzwerk von Partner:innen, um unsere Mitglieder mit Verbindungen oder Einführungen zu unterstützen.
Health Relations: Wie beurteilen sie die rechtlichen Regularien in Deutschland in Bezug auf KI im Gesundheitswesen?Dr. Julia Hoxha: Eine große Herausforderung für junge Unternehmen bei der Markteinführung eines Produkts sind die hohen regulatorischen Hürden. Der Gesundheitssektor ist bereits stark reguliert. Mit neuen Vorschriften wie dem EU-KI-Gesetz besteht die Gefahr einer Überregulierung nicht nur im deutschen, sondern im gesamten europäischen KI-Ökosystem. Der KIBV war in den letzten Jahren sehr aktiv und hat die Bedenken seiner Mitglieder lautstark geäußert. Er hat die Mitglieder des Europäischen Parlaments aufgefordert, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der Rechtsunsicherheiten und bürokratische Hürden für junge Unternehmen beseitigt. Oberstes Gebot ist es jetzt, ein europäisches KI-Ökosystem aufzubauen, das die Innovation fördert und im globalen Wettbewerb bestehen kann.