Dr. Stefan Simianer: Diese Kompetenzen braucht Pharma
Erfahren Sie,
- welche Kernkompetenzen Pharma braucht,
- warum traditionelle IT-Lösungen in der Pharma überholt sind,
- warum Pharma noch nicht schnell genug reagiert,
- welche Themen die Pharmafirmen am meisten unterschätzen,
- wie die Branche mit neuen Playern umgeht und welche Business-Modelle sich entwickeln,
- wie sich Pharmaunternehmen als attraktive Arbeitgeber präsentieren.
"Traditionelle IT-Lösungen sind schon lange nicht mehr in der Lage, sehr große Datenmengen, wie zum Beispiel das exponentiell wachsende Wissen in der Grundlagenforschung, nutzbar zu machen"Health Relations: Es muss also Geld in die Heand genommen werden. Passiert das auch auf Seiten der Pharmafirmen?Dr. Stefan Simianer:Wir sehen hier ein gemischtes Bild: Grundsätzlich haben es die Großen der Branche leichter, die erforderlichen Investments abzubilden. Der Grad der Priorisierung ist in den einzelnen Firmen allerdings sehr unterschiedlich, und manche große Firma steht hier noch am Anfang. Dazu sind keine Shelf-Lösungen verfügbar und an Stelle eines definierten Endzustandes sind ständige Weiterentwicklungen nötig. Vereinzelt hat sich bei Entscheidern auch eine gewisse Ernüchterung breit gemacht, weil getane Investments nicht den erwarteten Return oder Erfolg erwirtschaften konnten. In jedem Fall sind mittelständische Unternehmen oder Start-ups mehr denn je auf Dienstleister oder Partner angewiesen, wenn sie in diesem Bereich mithalten wollen. Health Relations: Sie sagten es eben. Viele Pharmafirmen haben die Trends zwar erkannt, sind aber nicht darauf vorbereitet. Woran liegt das? Und was müssten die Firmen jetzt schnell tun, um den Zug nicht zu verpassen?Dr. Stefan Simianer:Das klassische Modell funktioniert derzeit noch gut. Allerdings liegt das vor allem an den langen Entwicklungszyklen für Pharmaprodukte sowie den starken Regulierungen für Neuzulassungen. Daher haben die meisten Firmen mit dem Umdenken erst spät begonnen oder sich bewusst entschieden, hier nicht First-Mover zu sein. Was es außerdem braucht, sind visionäre, mutige Entscheidungen ganz oben in der Hierarchie, verbunden mit der Bereitschaft zum Kulturwandel und zu potenziell schmerzhaften Einschnitten. Diese sind in Zeiten, wo das Geschäftsmodell gut funktioniert, schwer zu vermitteln. Wichtig ist es im ersten Schritt daher, sich wirklich zum Wandel zu committen und Strukturen und Entscheidungswege aufzubauen, die dem nicht entgegenstehen. Health Relations: Was passiert mit den Firmen, die nicht rechtzeitig reagieren?Dr. Stefan Simianer:Diesen Firmen droht, dass die ohnehin sehr geringe Erfolgswahrscheinlichkeit für innovative Arzneimittel aus der eigenen Forschung und Entwicklung weiter sinken wird, das heißt, das Risiko für Fehlschläge steigt weiter an. Dazu verlängert sich die Zeit bis zur Marktzulassung, verbunden mit der Konsequenz, das mögliche Potential einer Innovation nicht mehr annähernd voll ausschöpfen zu können. Nach der Zulassung reduziert sich die Chance auf eine schnelle und erfolgreiche Vermarktung und ein effizientes Life Cycle Management. Sich bereits abzeichnende Folgen für diese Firmen sind die Fokussierung auf wenige erfolgversprechende Projekte und die Konzentration auf Nischenstrategien. Beide Ansätze sollen die Erfolgswahrscheinlichkeit hochhalten, bergen aber eigene Risiken. Die Bildung von Partnerschaften ist eine weitere Reaktionsmöglichkeit. Diese schafft aber zwangsläufig Abhängigkeiten, verbunden mit dem Risiko des Verlustes der Eigenständigkeit, oder des Abstieges zum Juniorpartner oder Dienstleister. Health Relations: Welche Themen unterschätzen die Pharmafirmen ihrer Meinung nach am meisten?Dr. Stefan Simianer:Unabhängig von den erheblichen Herausforderungen bei der Einführung der neuen Technologien und der Gewinnung von entsprechendem Personal fiel in den Antworten besonders auf, wie selten in diesem Kontext der Aspekt der Firmenkultur Beachtung gefunden hat. Die Veränderungen durch die Anpassung an neue Kompetenzen, Arbeitsweisen und Technologien werden zwangsläufig die Firmenkultur herausfordern. Entsprechende Initiativen erscheinen uns daher dringend erforderlich, um den Wandel nachhaltig zu meistern.
"Die Veränderungen durch die Anpassung an neue Kompetenzen, Arbeitsweisen und Technologien werden zwangsläufig die Firmenkultur herausfordern."Health Relations: Zusätzlich zur Entwicklung neuer Kompetenzen ist ja auch die Beobachtung neuer Konkurrenz gefragt. Seit einigen Jahren kommen neue Player wie etwa Amazon und Co. auf den Markt. Sind Pharmafirmen darauf vorbereitet?Dr. Stefan Simianer:Grundsätzlich werden die neuen Player sehr stark wahrgenommen, verbunden mit erheblichem Respekt vor deren Finanzkraft und Ausdauer. Diese Besorgnis besteht allerdings bereits seit einigen Jahren, und die mit Amazon, IBM-Watson, und anderen Begriffen verbundenen Unkenrufe für die Branche haben sich seither allenfalls teilweise bewahrheitet, oder sich gar als Flop herausgestellt. Dies mag eine gewisse gegenwärtig zu spürende, Sorglosigkeit im Umgang mit den neuen Wettbewerbern erklären. Zudem wird das ansonsten gern gescholtene, strikte regulatorische Umfeld in diesem Kontext als wirksame Eintrittsbarriere gegen die neuen Player in den klassischen Markt verstanden. Die jahrelange Erfahrung im Umgang mit Zulassungsbehörden, Kostenträgern und der Politik wird als strategischer Vorteil aufgefasst. In den Segmenten, in denen die Firmen Wettbewerb erwarten, bereiten sie sich in unserer Wahrnehmung vor allem darauf vor, hier gezielt Partnerschaften mit den neuen Playern einzugehen. Health Relations: Was bedeuten die von Ihnen beschriebenen Veränderungen für die Business Modelle der Pharmaunternehmen? Müssen Sie sich da nicht neu aufstellen?Dr. Stefan Simianer: Zum Teil wird zwar eine Verschiebung der Kräfte zugunsten der großen Tech-Firmen und ihren riesigen Datenpools erwartet, verbunden mit der Möglichkeit einer dramatischen Veränderung der Hierarchien. Die Mehrheit der Experten sieht allerdings eher eine langsamere Entwicklung als eine vollständige Disruption auf sich zu kommen, was mehr graduelle organisatorische Anpassungen erforderlich macht. Interessanterweise spielt das Thema Lösungen im Bereich Digital Health eine eher untergeordnete Rolle. Diesen Aktivitäten traut man die Erschließung neuer Märkte und Segmente zu, ohne die alten zu substituieren.
"Generell werden Märkte kleinteiliger, und klassische Pharmaprodukte zunehmend um Services, Diagnostika, oder Hilfsmittel ergänzt, um den Patienten ganzheitliche und zielgenauere Lösungen anzubieten."Health Relations? Welche Folgen hat das?Dr. Stefan Simianer:Generell werden Märkte kleinteiliger, und klassische Pharmaprodukte zunehmend um Services, Diagnostika, oder Hilfsmittel ergänzt, um den Patienten ganzheitliche und zielgenauere Lösungen anzubieten. Gute Produkte werden künftig deutlich schneller durch Bessere abgelöst. Insgesamt verlangt dies von Firmen und Mitarbeitern vielfältige zusätzliche Kompetenzen und mehr Flexibilität. Eine unmittelbare Bedrohung des gesamten Business Modells besteht dennoch, allerdings unabhängig von den untersuchten Trends: Einschnitte in das Erstattungsmodell, beispielsweise in den USA, hätten sofortige und tiefgreifende strukturelle Veränderungen zur Folge. Health Relations: Ein wichtiges Thema, mit dem sich die Branche beschäftigen muss, um zukunftsfähig zu bleiben, ist der Fachkräftemangel. Wie können sich Pharmaunternehmen attraktiver für Fachkräfte machen?Dr. Stefan Simianer:Die klassischen Argumente, die für einen Arbeitsplatz in der Pharmaindustrie sprachen, wie attraktive Bezahlung, eine sinnvolle Tätigkeit und ein sicherer Arbeitsplatz mit guten Arbeitsbedingungen werden für die Firmen nicht ausreichen, um im Wettbewerb um die zusätzlichen Talente Erfolg zu haben. Um beispielsweise für IT-Experten und Data Scientists attraktiv zu sein, muss sich die Industrie neu positionieren, und bei der Personalgewinnung und -entwicklung neue Kanäle bedienen. Grundlegende Veränderungen der Kultur, der Arbeitszeit- und Arbeitsplatzmodelle, und der Hierarchien und Prozesse sind erforderlich, um in diesem dynamischen Umfeld zu überzeugen. Stärker als bisher sind zudem spezielle Ausbildungswege, Studiengänge und aktive Kooperationen mit Universitäten erforderlich, um den geeigneten akademischen Nachwuchs auszubilden.