Gunther Brodhecker, Schaller Health: „Der Wettbewerb ist in Healthcare unterentwickelt“
Gunther Brodhecker:(lacht) "Kampfansage" klingt ziemlich martialisch. Aber wenn Sie so wollen: Ja. Alle Marken jenseits der Marktführerschaft sind Challenger. Sie haben aus dieser Position teilweise Nachteile, etwa was die Bekanntheit angeht. In der Challenger-Rolle liegen aber auch riesige Chancen und Freiheiten. Das Konzept ist längst etabliert in vielen Industrien – von FMCG über Automotive bis hin zu B2B-Marken. Es ist einfach an der Zeit, es für Healthcare nutzbar zu machen.
Health Relations: Das Wettbewerbselement als strategischer Ansatz kommt Ihrer Meinung nach in der Healthcare-Branche zu kurz. Wie sollten Markenherausforderer denn agieren?Gunther Brodhecker: Das Thema Wettbewerb und die strategischen Ableitungen daraus sind im Healthcare-Bereich unterentwickelt. Dabei ergeben sich aus der jeweiligen Position im Markt und vor allem in den Köpfen der HCPs klare Handlungsempfehlungen: Der Marktführer agiert kommunikativ defensiv. Die Nummer 2 muss den Marktführer in seiner Stärke angreifen. Kleinere Player bilden Nischen, um so wieder relevant zu werden. Es geht darum, als Marke zu wissen, wo man steht und entsprechend zu handeln. Dann kann die Challenger-Rolle zum Boost werden.
Health Relations: Mit der Agenturgründung von "Schaller Health" im Mai haben Sie bekannt gegeben, für Gesundheitsmarken „Challenger-Brand-Konzepte" zu entwickeln. Dürfen die Markenführer in den jeweiligen Segmenten das als Kampfansage verstehen?"Der Herausforderer darf nicht schüchtern sein und sagt laut und deutlich, was er zu bieten hat."Health Relations: Gibt es für eine Agentur mit einem so spitzen Profil genügend Kunden in Health und Pharma, die diese Strategie verfolgen wollen?Gunther Brodhecker:Wir sind eine Fullservice-Agentur und zielen auf ein Kundensegment aus den unterschiedlichsten Bereichen: von Rx über OTC, MedTech, e-Health, Dental bis hin zu Health-Versorgermarken und -Dienstleistern. Als Agenturmarke wollen wir uns differenzieren und bieten deshalb jenseits unseres Fullservice-Angebots etwas an, das es in dieser Form in der Health-Agenturlandschaft noch nicht gibt. Für das Thema Challenger-Marken sehe ich in Health und Pharma großes Potenzial. Health Relations: Sie selbst haben jahrelange Erfahrung als Kreativchef und Konzeptioner auf Agenturseite, zuletzt waren Sie bei Schmittgall HEALTH Geschäftsführer Kreation. Welche Rolle spielt die Kreation für Sie bei dem Konzept, speziell im Rx-Bereich?Gunther Brodhecker:Ich bemühe mal ein Fußballbild: Wenn eine gelungene Challenger-Strategie die perfekte Flanke ist, dann macht die Kreation das Tor. Die Kreation ist häufig mutiger, direkter, klarer, weil sie auf Differenzierung ausgerichtet ist. Der Herausforderer darf nicht schüchtern sein und sagt laut und deutlich, was er zu bieten hat. Häufig spricht er bisher ungesagte Wahrheiten aus und verknüpft das mit ungesehenen Bildern. Das führt nicht immer, aber häufig zu kreativer Exzellenz. Im Rx-Bereich ist das ganz genauso. Die meisten Rx-Comprix-Gold-Kampagnen der letzten 10 Jahre wurden für Challenger-Marken entwickelt. Health Relations: Sind Awards für Sie ein wichtiges Ziel? Am Ende eines Fußballturniers hält schließlich einer den Pokal in die Höhe.Gunther Brodhecker:Wir priorisieren radikal den Markterfolg unserer Kunden. Oder anders gesagt: Die wahren Awards sind steigende Marktanteile.
"Werbekampagnen sind nur Teil der Kommunikation. Der eher beziehungsorientierte Ansatz kommt auch bei Ärztinnen und Ärzten an."Health Relations: Bleiben wir bei erfolgreichen Strategien in der Rx-Kommunikation. Auffällig ist, dass jenseits der Marken- und Produktwerbung in den vergangenen Jahren immer stärker auf Zielgruppen-Insights und die Prescriber Journey Wert gelegt wird. Wie beurteilen Sie diese Ansätze?Gunther Brodhecker: Das ist richtig. Die Rx-Kommunikation hat hier einen großen Sprung nach vorne gemacht. Lange wurde nur in Leitlinie und Produkt gedacht. In den letzten Jahren haben wir als Rx-Kommunikatoren uns viel tiefer in die Arztpsychologie gedacht: Was treibt den HCP jenseits der Leitlinie an? Welchen Einfluss hat die Veränderung der Arzt-Patienten-Beziehung auf das Verschreibungsverhalten? Wie laufen die Prescriber Journeys? Ich bin selbst ein großer Fan dieser Entwicklung und glaube, dass wir hier noch lange nicht am Ende sind. Health Relations: Ärztinnen und Ärzte sind oft skeptisch gegenüber Marketingbotschaften von Pharmaunternehmen. Was kann Pharmaunternehmen helfen, ihre Kommunikation mit Ärzt:innen glaubwürdiger und vertrauenswürdiger zu gestalten?Gunther Brodhecker:Ich glaube, dass wir hier – auch bedingt durch die stärkeren gesetzlichen Regulierungen in den Nullerjahren – inzwischen auf einem guten Weg sind. Die meisten Hersteller verfolgen in der Kommunikation mit den HCPs einen ernsthaften Ansatz: Pharmaunternehmen und ihre Marketingexperten wollen Ärzt:innen und Patient:innen wirklich verstehen. Jede Indikation ist anders, jede Ärztegruppe hat ganz eigene Anforderungen, auch ein eigenes Selbstbild. Kommunikation ist keine Einbahnstraße mehr, sie wird zur Beziehungsarbeit. Es geht um ‚Services beyond the Pill‘, um Awareness für Indikationen, um die Unterstützung des HCPs etwa in Sachen Compliance und vieles mehr. Werbekampagnen haben in dieser Welt immer noch ihren Platz, aber sie sind nur Teil der Kommunikation. Ich habe den Eindruck, dass dieser eher beziehungsorientierte Ansatz auch bei Ärztinnen und Ärzten ankommt.