Jasmin Betzl, Head of Business Development Rx bei Smile AI, erklärt, warum es manchen Unternehmen gelingt, KI effektiv in ihre Strukturen zu integrieren, während andere zurückfallen. Und welche langfristigen Auswirkungen die Automatisierung auf den Außendienst, den Arztkontakt und patientenzentrierte Lösungen hat.

Jasmin Betzl war an der Erstellung der „AI meets Rx“-Studie von Smile AI beteiligt. Im Interview berichtet sie über die wichtigsten Erkenntnisse der Untersuchung, über Chancen, Herausforderungen und darüber, wie Pharmaunternehmen von der digitalen Transformation profitieren können.

Health Relations:Die Studie zeigt, dass 89 Prozent der Führungskräfte KI als Top-3-Priorität betrachten. Was unterscheidet Ihrer Meinung nach Unternehmen, die KI erfolgreich integrieren, von denen, die hinterherhinken?

Jasmin Betzl:KI hat branchenübergreifend einen hohen Stellenwert, 51 Prozent der Rx-Unternehmen nutzen KI bereits täglich. Der Unterschied liegt in der konsequenten Umsetzung. Erfolgreiche Unternehmen haben eine klare KI-Strategie, setzen auf Schulungen und die tiefe Integration von KI in bestehende Arbeitsabläufe. Sie experimentieren nicht nur, sondern implementieren KI-Lösungen in allen Unternehmensbereichen.

„Erfolgreiche Unternehmen experimentieren nicht nur, sie integrieren KI umfassend“

Health Relations:Welche Hindernisse und Barrieren erleben die Pharmafirmen bei der Einführung von KI?

Jasmin Betzl: Viele Unternehmen stehen bei der Einführung von KI vor Herausforderungen, die eine erfolgreiche Implementierung erschweren. Häufig fehlt es an interner Expertise, was Unsicherheiten verursacht. Schulungen, externe Beratung und die Einstellung von KI-Experten helfen, dieses Defizit auszugleichen. Zudem stoßen KI-Projekte oft auf Widerstand in der Belegschaft, da Veränderungen oder Arbeitsplatzverluste befürchtet werden. Offene Kommunikation, Weiterbildungsangebote und die frühzeitige Einbindung der Mitarbeitenden fördern Akzeptanz. Ein weiteres Hindernis ist die fehlende strategische Verankerung von KI. Oft wird sie als isolierte Technologie betrachtet, anstatt sie gezielt in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Eine klare KI-Strategie mit definierten Verantwortlichkeiten verhindert ineffiziente Pilotprojekte. Zusätzlich erschwert die Fragmentierung von Daten den KI-Einsatz, da Informationen oft in verschiedenen Systemen isoliert sind. Unternehmen sollten daher eine einheitliche Datenstrategie etablieren und Silos abbauen. Wer diese Hürden systematisch angeht, kann KI gezielt nutzen und langfristig erfolgreich in seine Prozesse integrieren.

Health Relations:Die Studie gibt Kundendaten und Kundenverhalten als häufige Datenlücken an. Wie können Unternehmen diese Lücken schließen?

Jasmin Betzl: KI kann große Mengen an Social-Media-Posts und -Kommentaren analysieren, um die Bedürfnisse, Wünsche und Meinungen von Patienten zu verstehen. So können beispielsweise Trends und Themen identifiziert werden, die für bestimmte Patientengruppen relevant sind. Ein weiterer Ansatz ist die Integration von Daten aus verschiedenen Quellen. KI kann auch Daten aus CRM-Systemen, elektronischen Patientenakten und Wearables zusammenführen und analysieren. Dadurch entsteht ein ganzheitliches Bild des Kunden, das ein tieferes Verständnis des Kundenverhaltens ermöglicht.

Health Relations: Durch die Implementierung von KI können Pharmafirmen die Anzahl der Arztbesuche signifikant steigern. Welche langfristigen Auswirkungen könnte das auf die Arzt-Pharma-Beziehung haben?

Jasmin Betzl: Außendienstmitarbeitende können besser vorbereitet und effizienter sein, was zu mehr Arztbesuchen führen kann, was ein strukturierteres Ablaufen und auch im Nachgang weniger Aufwand bedeuten. Langfristig könnte dies die Arzt-Pharma-Beziehung stärken, da die Interaktionen relevanter und individueller werden. Außendienstmitarbeitende sparen Zeit im Alltag bei der Bearbeitung der Termine und für Ärztinnen und Ärzte bedeutet dies mehr Zeit für die Patientenversorgung, weil KI beide Routineaufgaben automatisieren kann.

Von E-Pharmacy bis Patientenzentrierung: Wie KI den Markt verändert

Health Relations:Die Studie prognostiziert ein starkes Wachstum des E-Pharmacy-Sektors. Welche Strategien sollten Pharmaunternehmen verfolgen, um davon zu profitieren?

Jasmin Betzl:Pharmaunternehmen aus dem Rx-Bereich sollten ihre Online-Präsenz ausbauen und mit E-Pharmacies kooperieren, um den digitalen Auftritt ihrer Produkte zu optimieren. Wichtig ist auch die Entwicklung digitaler Services, wie z. B. Online-Beratung oder Medikationsmanagement. Durch die Integration von KI können diese Services personalisiert und effizienter gestaltet werden. In Zusammenarbeit mit den Onlineapotheken sind auch Omnichannel-Kampagnen vermehrt möglich. Rx-Hersteller erreichen, beflügelt durch den starken eRx-Anstieg der letzten Monate, so auch besser die Zielgruppe der online-affinen Patienten und Chroniker, die ihre Rezepte bevorzugt online einlösen.

Health Relations:Die Vorteile von KI in Sachen Produktivitätssteigerung sind bemerkenswert. Doch wie lässt sich bei aller Effizienzsteigerung sicherstellen, dass menschliche Kreativität dabei nicht verloren geht?

Jasmin Betzl: Generative KI kann die Produktivität um 10–20 Prozent steigern. Wichtig ist, dass KI als Werkzeug und Unterstützung für die Mitarbeiter gesehen wird und nicht als Ersatz. Menschliche Kreativität und Innovationskraft bleiben weiterhin gefragt, um die Potenziale von KI voll auszuschöpfen. Ein KI-generierter Inhalt erreicht einen gewissen Standard nur durch die Kreativität und Expertise, die durch den Mitarbeiter in den Prompt hineingegeben wird. Kurz gesagt: Der Output ist nur so gut wie der Prompt selbst. Pharmaunternehmen sollten daher in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden investieren und eine Kultur der Innovation fördern, mit dem richtigen Umgang relevanter Tools und Systeme. Außerdem können Mitarbeitende ihre durch AI gewonnene Zeit nutzen, sich auf andere Themengebiete ihrer Arbeit zu fokussieren und dort weiteres Wissen zu sammeln, was KI-Prozesse wiederum weiter optimiert.

„Die USA sind Vorreiter bei der Implementierung von KI im Gesundheitswesen.“

Health Relations: Wenden wir unseren Blick einmal auf den internationalen Markt, die Untersuchung zeigt auf, dass die USA den größten Marktanteil bei KI im Gesundheitswesen haben. Was können europäische Pharmaunternehmen von den USA lernen?

Jasmin Betzl: Die USA sind Vorreiter bei der Implementierung von KI im Gesundheitswesen. Europäische Unternehmen können von den USA lernen, wie KI zur Verbesserung der Patientenversorgung, Effizienzsteigerung und Entwicklung neuer Geschäftsmodelle eingesetzt werden kann. Wichtig ist auch der Austausch über Best Practices und regulatorische Rahmenbedingungen.

Health Relations: Welche Maßnahmen sollten Pharmafirmen treffen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können?

Jasmin Betzl:Europäische Pharmaunternehmen müssen in KI investieren und digitale Kompetenzen aufbauen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Sie sollten Kooperationen mit Technologieunternehmen und Start-ups eingehen, um Zugang zu Innovationen zu erhalten. Wichtig ist auch die aktive Mitgestaltung der regulatorischen Rahmenbedingungen für KI im Gesundheitswesen.