Martina Gripp hat mehr als 25 Jahre Führungserfahrung, war als Marketingdirektorin Consumer Healthcare für Unternehmen wie Perrigo, Sanofi oder Boehringer Ingelheim tätig. Heute setzt sie sich als Vorständin im Healthcare Frauen e.V. (HCF) dafür ein, mehr Frauen im Gesundheitswesen in Führung zu bringen. Im Interview erzählt sie, was es dafür braucht – und wie auch die Patientenschaft davon profitieren würde.

Health Relations: Frau Gripp, aus welcher Motivation heraus setzen Sie sich mit den HCF dafür ein, mehr Frauen im Gesundheitswesen in Führung zu bringen?

Martina Gripp: Das Gesundheitswesen ist eine der wichtigsten Branchen in Deutschland und eine Zukunftsbranche. Wir sehen aber immer noch, dass Frauen in Führung unterrepräsentiert sind. In der Pharmaindustrie waren laut VFA 2023 rund 40 Prozent der Beschäftigten weiblich, doch nur jede dritte Führungskraft eine Frau. In Apotheken dagegen lag der Frauenanteil von berufstätigen Apothekerinnen und Apothekern laut ABDA 2023 bei gut 73 Prozent – und auf Leitungsebene bei fast paritätischen rund 49 Prozent, was natürlich erfreulich ist. In der Gesundheitswirtschaft insgesamt waren laut PwC im Jahr 2020 ganze 75 Prozent der Beschäftigten weiblich, aber es gab nur 29 Prozent Frauen in Führungspositionen.

Hinzu kommt: Erfahrungsgemäß sind Frauen, wenn in Führung, dann vor allem im mittleren Management tätig. Schauen wir aber ganz nach oben, in die Vorstandsetagen, sehen wir noch deutlich Luft nach oben. Ich bin überzeugt: Hätten wir mehr Frauen in Führung, würde das zu vielschichtigeren Sichtweisen in den unternehmerischen Entscheidungen führen – und damit sowohl der Unternehmenskultur als auch der Patientenschaft helfen. Es ist wichtig, viele Perspektiven einzubringen.

Health Relations: Sie verfügen über 25 Jahre Führungserfahrung in Consumer Healthcare, speziell im Marketing. Wie hat sich Führung in dieser Zeit verändert?  

Martina Gripp:Die Strukturen haben sich geändert. Führung funktioniert heute weniger hierarchisch, weniger autoritär. Stattdessen liegt der Fokus stärker auf Werten wie Kollaboration und Empowerment. Als ich anfing, gab es in den Teams die Erwartungshaltung, dass man als Führungskraft alle Antworten hat. Heute werden Führungskräfte eher als Mentoren und Coaches gesehen, die die richtigen Fragen stellen und Talente fördern – zumindest ist das mein persönliches Verständnis von Führung.

HCF-Frühjahrstagung 2025, 31. März in Nürnberg

„Führen mit Weitblick: Innovation und Vielfalt – die neuen Chancen für Frauen“: Unter diesem Motto laden die Healthcare Frauen am Montag, 31. März, zu ihrer Frühjahrstagung 2025 nach Nürnberg ein. In Diskussionen und Workshops sollen neue Akzente für moderne Führung erarbeitet werden.

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Health Relations: Was sind die Gründe für diese Entwicklung?  

Martina Gripp: Zunächst ist da die Globalisierung. Wir arbeiten heute interkulturellen in Teams mit Personen aus zum Beispiel Nordamerika, Asien und Europa. Hier treffen die unterschiedlichsten Kommunikationsstile aufeinander – von direktiv bis kooperativ. Das wirkt natürlich auf die Führungskultur aus.

Außerdem hat sich die Haltung gegenüber Führung verändert: Die junge Generation hat ganz andere Ansichten und Bedürfnisse. Wir haben heute bis zu vier Generationen in Unternehmen, von 20- bis hin zu 60-jährigen, die unterschiedliche Werte und Erwartungen haben und diese aneinander angleichen müssen. Und nicht zuletzt kommen zunehmend Themen wie Coaching und Mentoring in die Unternehmen. Was früher eher mit einem Kopfschütteln quittiert wurde, ist heute weitgehend akzeptiert und trägt zu einem neuen Führungsverständnis im Unternehmen bei.

„Meiner Erfahrung nach sind Frauen oft viel mehr an der Sache und weniger an der eigenen Person und Karriere orientiert.“

Health Relations: Wo hakt es weiterhin? Was muss sich verändern, um mehr Frauen den Weg in die Führungsebene zu ermöglichen?

 Martina Gripp: Zum einen braucht es externe Strukturen, die es Frauen erlauben, in Führung zu gehen. Damit meine ich nicht nur Möglichkeiten wie flexible Arbeitszeiten und Homeoffice, sondern vor allem mehr Strukturen für die Kinderbetreuung oder auch die Betreuung pflegebedürftiger Eltern.

Außerdem müssen wir Führung attraktiver machen, gerade für junge Leute. Führung hat heute bei vielen den Ruf: Das ist hart, da muss man sich richtig für verbiegen. Hier kommt wieder das Thema Diversität ins Spiel. Wir reden viel über Geschlechter, Kulturen oder Nationen, aber wenig über Alter oder Führungsstile. Dabei führt jeder anders. Meiner Erfahrung nach sind Frauen oft viel mehr an der Sache und weniger an der eigenen Person und Karriere orientiert. Das gilt es zu akzeptieren und zu fördern. Und wir müssen Wege finden, Führung möglich zu machen, die gleichzeitig eine Ausgewogenheit im Leben erlaubt. Gerade der jungen Generation ist das wichtig.

Darüber hinaus brauchen Frauen ein Netzwerk. Das ist ja unser großes Thema bei den Healthcare Frauen. Gegründet wurde der Verein, weil es einfach kein Netzwerk für Führungsfrauen im Gesundheitswesen gab.

Health Relations: Nun gibt es in der Branche nicht nur die Forderung nach mehr Repräsentanz von Frauen auf Führungsebene, sondern auch mit Blick auf Patientinnen (Stichwort z.B. Gender Health Gap). Wenn mehr Frauen in Führung kommen, bringt das Ihrer Meinung nach auch einen diverseren Blick auf die Patientenschaft mit sich?

Martina Gripp: Ja, das glaube ich auf jeden Fall. Wir als Frauen wissen, was wir als Frauen uns von einer medizinischen Behandlung wünschen. Oft ist es eine Bewusstseinsfrage, ob die Belange von Frauen mitbedacht werden oder nicht. Wenn mehr Frauen in Entscheidungspositionen sind, wird das dazu beitragen, solche blinden Flecken zu erkennen und sie zu überkommen.

Als Healthcare Frauen e.V. haben wir kürzlich die Studie „Women in Change“ initiiert. Sie zeigt, wie wichtig es ist, Themen wie die Menopause aus der Tabuzone zu holen. Denn gerade diese Lebensphase ist für Frauen in Führung herausfordernd: Die Studie hat ergeben, dass knapp acht von zehn Frauen in der Menopause mit kognitiven Beschwerden wie Konzentrationsstörungen zu tun haben und sich in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt fühlen. Mehr als drei Viertel leiden unter körperlicher Erschöpfung. Solche Themen in die Öffentlichkeit zu bringen und ein Bewusstsein darüber zu schaffen, ist wichtig. Denn nur, wer die Herausforderungen kennt, kann entsprechende Lösungen entwickeln.

„Schon immer sind Frauen Teil der Bildsprache. Aber wir müssen uns fragen: In welchem Kontext zeigen wir Frauen?“

Health Relations: Wie können Marketing und Kommunikation dazu beitragen, Frauen sichtbarer zu machen und insgesamt Diversität zu fördern?

Martina Gripp:Schon immer sind Frauen Teil der Bildsprache, etwa als Protagonistin in der Werbung. Aber wir müssen uns fragen: In welchem Kontext zeigen wir Frauen? Sind es die klassischen Rollenmodelle – oder sind es Bilder, die wir brauchen, um zu motivieren? Das Marketing braucht also ein ganz klares Bewusstsein darüber, was es kommunizieren will. Dann hat es das Potenzial, zum Beispiel über Kampagnen Stereotype aufzubrechen und sie zu widerlegen. Da sehe ich auch den Journalismus in der Pflicht: Hier gilt es, viel über das Thema Frauen in Führung zu sprechen. Interviews mit jungen Führungskräften zu führen, kontrovers zu diskutieren und zu zeigen, was jetzt gebraucht wird.

Health Relations: Was würden Sie heute einer jungen Frau raten, die eine Karriere im Gesundheitswesen anstrebt?

Martina Gripp:Ich würde ihr sagen: Führung macht Spaß! Man muss nicht perfekt sein, sondern Mut und Lust auf Verantwortung zu haben. Baue dir Netzwerke auf und nutze sie. Suche dir Mentoren, bilde dich weiter. Bei den Healthcare Frauen etwa bieten wir ein Mentoring-Programm, in dem wir Frauen im Gesundheitswesen auf dem Weg nach oben aktiv unterstützen. Und grundsätzlich hilft es meiner Erfahrung nach, offen für Veränderungen und neue Perspektiven zu sein und auch mal ein Risiko einzugehen. Meine erste Auslandsversetzung als Geschäftsführerin führte mich zum Beispiel auf die Philippinen – das war sicherlich ein Sprung ins kalte Wasser, aber auch eine spannende und prägende Zeit.