Sind Medfluencer-Kooperationen noch attraktiv für Pharma?
Medizinische Influencer etablieren sich als relevante Partner im Pharmamarketing, doch die Zusammenarbeit hat ihren Preis. Sind Medfluencer-Kooperationen noch attraktiv für Pharma?
Medfluencer – das sind Ärztinnen, Ärzte und medizinisches Fachpersonal, die auf ihren Social-Media-Kanälen medizinischen Content teilen. Videos, Fotos oder Texte aus ihrem Alltag oder über unterschiedliche Indikationen. Sebastian Alsleben, ein 32-jähriger Hausarzt aus Solingen, ist einer von ihnen. Auf Instagram postete er als deinhausarzt informative Videos, zum Beispiel über die Funktionsweise der Schilddrüse oder Leber. Er kooperierte bereits mit Krankenkassen und Fachmagazinen. Sein Kollege David Reckers, Hausarzt in Weiterbildung, informiert unter dem Namen der.hausarzt auf TikTok über unterschiedliche, medizinische Themen wie Diabetes und arbeitete dafür bereits mit Sanofi zusammen. Medfluencer können für Pharmaunternehmen relevante Partner in der Patientenkommunikation sein. Aber wie in jede Partnerschaft hat auch diese ihre Herausforderungen.
Information & Awareness
Aber wie sieht der Markt überhaupt aus? Derzeit gäbe es in Deutschland zwischen 400 und 1.000 Medfluencer, schätzt Philip Jones, Geschäftsführer bei Medservation. Die Agentur betreut medizinische Influencer. „Der Markt“, sagt er, „ist ziemlich gewachsen. Vor drei Jahren kannte ich noch fast alle persönlich, das hat sich verändert.“ Immer mehr junge Ärztinnen, Ärzte und Studierende sind in Social Media als Healthcare-Experten präsent. Die Zusammenarbeit mit ihnen ist für Pharmaunternehmen attraktiv, weil sie die Möglichkeit bietet, mittels Influencer Zielgruppen authentisch und mit hoher Glaubwürdigkeit zu erreichen. Besonders bei jungen Menschen, die klassische Medien kaum noch nutzen, ist Social Media ein Schlüsselmedium. Durch die Kombination von Fachwissen und Nahbarkeit sind Medfluencer prädestiniert, komplexe medizinische Themen verständlich aufzubereiten und auf Indikationen oder Vorsorgemaßnahmen aufmerksam zu machen. Sie können Therapien erläutern und vor allem medizinische Falschinformationen entkräften.
Hoher Marktwert
Doch die Zusammenarbeit hat ihren Preis. „Ein Arzt, eine Ärztin, die sich eine gewisse Reichweite aufgebaut hat, ist sich des eigenen Marktwerts inzwischen bewusst“, sagt Natascha Vollmuth, Director Brands & NPOs bei HitchOn GmbH. „Sie wissen, dass es ihre Accounts eben nicht wie Sand am Meer gibt.“ Auch deshalb sind Pharmaunternehmen ihrer Erfahrung nach zurückhaltend, wenn es um Medfluencer-Kampagnen geht. Natascha Vollmuth berichtet, dass HitchOn für ein Healthcare-Unternehmen eine Dermatologin ausfindig gemacht hätte, deren Account und Arbeit perfekt zu den Vorgaben des Kunden und dem Produkt gepasst hätten. Der Kunde entschied sich schließlich gegen die Kooperation und verteilte das Budget auf vier bis fünf kleinere Accounts von Patienten-Influencern, die thematisch zur Kampagne gepasst haben. „Die Accounts von Influencern, die selber betroffen sind, sind oft noch näher dran an den Followern und bringen nochmal eine ganz andere Reichweite mit sich.“ Im genannten Beispiel ging es darum, ein Produkt und dessen Wirkung bekannter zu machen. Ziele, die mit einer Influencer-Kampagne mit Betroffenen umsetzbar sind. „Man muss sich als Unternehmen eben fragen: Was will ich genau erreichen – und welche Form von Influencer passt zu mir?“
Risiken und Nebenwirkungen
Es gibt, neben dem budgetären Aspekt, weitere Hürden für die Kooperation. Die größte sind ohne Zweifel die juristischen Vorgaben, zum Beispiel das HWG. Die Mehrzahl der Medfluencer kenne die Spielregeln, sagt Jones. Sie legten großen Wert auf Glaubwürdigkeit und Transparenz und wüssten um das HWG, die Berufsordnung und die Konsequenzen, die ihnen bei Verstoß gegen die rechtlichen Rahmenbedingungen drohen. Natascha Vollmuth betont, dass die Rechtsabteilungen von Pharmaunternehmen häufig extrem vorsichtig agieren, was die Prozesse verlangsamt. Oftmals versuchten Unternehmen den Content vorzudiktieren, gleichzeitig führten unklare Zielvorgaben seitens der Unternehmen oft zu Spannungen, da die erwartete Reichweite und Wirkung nicht realistisch eingeschätzt werden. „Medfluencer-Kampagnen sind aufwendig in der Betreuung“, bringt Jones es auf den Punkt.
Teuer, aufwendig, erfolgversprechend
Allen Herausforderungen zum Trotz: Das Thema Influencer-Marketing ist für Pharmaunternehmen inzwischen kein Neuland mehr. Die Branche hat gelernt, die aufwendigen Prozesse gezielt zu steuern. Mit standardisierten Briefings und Schulungen für Influencer, die klar die Dos and Don’ts benennen. Gleichzeitig hat sich laut Philip Jones das Renommee von Social-Media-Kommunikation in den Fachgruppen verändert. Wurden Ärztinnen und Ärzte, die sich auf sozialen Plattformen präsentieren, eher kritisch angeschaut, wird dieses heute von den Fachgruppen positiv aufgenommen. „Guter Content in Social Media ist ein probates Mittel geworden, um die eigene Sichtbarkeit und Expertise zu zeigen.“ Nicht nur Healthcare-Unternehmen, auch Medfluencer haben sich also in Social Media professionalisiert. Das bestätigt auch Natascha Vollmuth. Beide Seiten wissen: Guter Content braucht mehr als gute technische Tools und KI. Das wiederum stärkt das Selbstbewusstsein der Content Kreatoren.
Fazit
Medfluencer sind ein wachsender und relevanter Bestandteil des Pharmamarketings. Sie bieten Chancen, medizinische Themen glaubwürdig und effektiv zu kommunizieren, erfordern jedoch ein hohes Maß an Abstimmung und Verständnis für regulatorische Vorgaben. Die erfolgreiche Zusammenarbeit setzt voraus, dass Pharmaunternehmen und Influencer sich auf transparente Ziele und einen fairen Prozess einigen. Das schützt vor Enttäuschungen, und zwar beide Seiten.