E-Commerce macht vor, wie es geht – aber eignet sich Hyper-Personalisierung auch für die Ärztekommunikation? Niko Gabrielides, Partner & Director Business Development bei der Healthcare Marketing Agentur und Innovationhub BrainersHub, über Herausforderungen und ein realistisches Zukunftsszenario für das Healthcare- und Pharmamarketing.
In diesem Beitrag lesen Sie,
- wie sich Hyper-Personalisierung von Personalisierung unterscheidet,
- wie viel Personalisierung für Healthcare- und Pharmaunternehmen derzeit umsetzbar ist,
- welche Schritte sie in den nächsten Jahren gehen sollten (und welche nicht).
Health Relations: Hyper-Personalisierung wird gerade heiß gehandelt als Zukunftsthema in der digitalen Ärztekommunikation. Warum wird sie gerade jetzt so wichtig?Niko Gabrielides: Das ist eine Reaktion, die wir regelmäßig sehen: Der Pharmamarkt greift Themen aus dem B2C- und Digital-Marketing-Markt auf. Zusätzlich getrieben wird das Interesse an Hyper-Personalisierung durch neue Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI), die aktuell groß in den Medien sind. Gerade kommen viele Ideen und Pläne auf. Das ist auch nicht falsch: Jeder Schritt zu einer intensivieren Personalisierung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings gibt es in der
Pharmabranche auch limitierende Faktoren zu bedenken, seien es Review-Anforderungen oder Datenschutzvorgaben.
Health Relations: Was ist Hyper-Personalisierung und wie unterscheidet sie sich von Personalisierung?Niko Gabrielides: Personalisierung bezeichnet im Wesentlichen eine Segmentierung der Kundenansprache und das Aufsetzen feingliedriger Kommunikationsstrecken. Hyper-Personalisierung geht einen riesigen Schritt weiter: Sie meint eine Individualisierung der Kommunikation bis auf Einzelpersonan-Ebene auf Basis von Echtzeit-Daten. Im E-Commerce erleben wir das heute schon: Kaum googele ich nach roten Schuhen, bekomme ich eine E-Mail von einem Online-Händler mit meinem Lieblingsschuh, in meiner Größe und mit einer Rabattaktion. Das ist Hyper-Personalisierung. Und da zeigt sich auch schon die große Krux.
"Oft fehlt die nötige Datenbasis für eine Personalisierung in Echtzeit. Mit Echtzeitdaten stoßen wir schnell an Grenzen im REview-Prozess und auch im Datenschutz."
Health Relations: Welche Krux, wo liegen die Herausforderungen?Niko Gabrielides: Zum ersten muss in Pharma und Healthcare jede Kommunikation durch Compliance und Regulatory geprüft werden. Die Abstimmungsprozesse von Inhalten dauern schnell drei, vier, fünf Wochen. Zum zweiten fehlt oft die nötige Datenbasis an Echtzeitdaten und damit die Fähigkeit zur Echtzeitreaktion. Regulatorische Vorgaben wirken hier limitierend. Mit dem Bedarf an Echtzeitdaten stoßen wir schnell an datenschutztechnische Grenzen. Zum dritten ist die technische Integration eine Herausforderung. Echtzeit heißt Echtzeit – und nicht, die Daten anzugucken, ein Mailing zu schreiben, es in die Review zu schicken und drei Wochen später zu versenden. Echtzeit passiert heute über KI oder extrem filigrane Segmentierungsmodelle. Das in der Tiefe aufzubauen, ist sehr aufwändig und für die Pharmabranche aktuell kaum leistbar.
„ Jede Aktion löst eine Folgeaktion aus. Das ist ein realistischer Ansatz von Personalisierung.“
Health Relations: Wo steht die Pharma- und Healthcare-Branche denn heute in Sachen Personalisierung?Niko Gabrielides: Aktuell ist die Entwicklung des Marketings in Richtung Omnichannel-Ansatz ein großes Thema. Viele Unternehmen haben bereits angefangen, ihre Kommunikation zu orchestrieren. Bedürfnisse, Kanäle und Interaktion um die Ärztinnen und Ärzte herum zu denken und zu strukturieren. In diesem Zuge setzen sich viele auch mit Personalisierung auseinander. Es wird zunehmend relevanter, Ärztinnen und Ärzte individuell anzusprechen. Konkret müssen die Unternehmen verstehen: Was interessiert diesen einen Arzt, wie ist er getrieben? Wo steht er in Bezug auf unser Unternehmen und mit Blick auf unser Produkt? Zu solchen Fragen muss Pharma besser segmentieren, mehr Daten sammeln, Interaktionsdaten verstehen und Bedürfnisse nachvollziehen.
Health Relations: Haben Sie ein Beispiel, wie personalisiertes Omnichannel-Marketing in der Praxis heute aussehen kann?Niko Gabrielides:Im Omnichannel-Marketing geht es darum, Kommunikationsstrecken aufsetzen – lateral auf Themenebene und bilateral auf Entscheidungsebene. Bei diesem Ansatz setzen wir Reaktionstrigger und lernen daraus: Wenn wir etwa eine Gynäkologin kontaktieren, versuchen wir zu messen, welche Themen sie besonders ansprechen. Ist es die Praxisorganisation in der Gynäkologie? Geht es ihr eher darum, ihre Wirtschaftlichkeit zu optimieren? Das Patientinnenwohl noch intensiver zu fördern? Haben wir das herausgefunden, können wir sie im nächsten Schritt zum Beispiel mit einem Whitepaper kontaktieren, das ihre inhaltlichen Interessen bedient. Schritt für Schritt schaffen wir mehr Verbindung zum Unternehmen, verknüpfen Optimierungsvorschläge mit seinen Produkten. Jede Aktion löst eine Folgeaktion aus. Das ist ein realistischer Ansatz in der Personalisierung, welchen wir mit unseren Kunden bereits in der Praxis einsetzen.
"Die wichtigste Basis für erfolgreiches Omnichannel-Marketing ist das Mindset."
Health Relations: Was sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen solchen Omnichannel-Angang im Marketing?Niko Gabrielides:Bei
BrainersHub beobachten wir immer wieder, dass Unternehmen den Wechsel auf Omnichannel-Marketing technisch zu lösen versuchen. Sie kaufen erst mal ein teures, neues Tool. Ich empfehle stattdessen immer, beim Verständnis für die Zielgruppen anzusetzen. Die wichtigste Basis für erfolgreiches Omnichannel-Marketing ist das Mindset. Innerhalb aller relevanter Abteilungen – Marketing, Vertrieb, teils auch Medical – muss es ein gemeinsames Verständnis geben, dass jetzt der Kunde anstelle
der Produkte im Fokus steht. Dann gibt es einen Aha-Moment im Unternehmen. Und dann wird überhaupt erst klar, ob es ein neues Tool braucht und wie es einzusetzen ist.
Health Relations: Welche Daten müssen Pharma- und Healthcare-Unternehmen dafür vorhalten?Niko Gabrielides: Zunächst braucht es Basis-Stammdaten wie Alter, Spezifizierung, Fachgebiet, Region oder Patientenpotenzial. Zum zweiten benötigen wir Bedürfnisdaten, also: Was ist das für ein Arzt, was treibt ihn an, was interessiert ihn thematisch? Der dritte Punkt sind Interaktionsdaten: Womit hat die Ärztin wie interagiert? Öffnet sie Mails, war sie auf der Website etc. Mit unseren Pharmakunden nehmen wir oft erst mal einen Data Audit vor. Wir schauen, welche Daten vorliegen und ob sie alle ausgewertet werden. Eine wichtige Aufgabe ist auch, alle Kontaktpunkte aktiv messbar zu machen. Im besten Fall läuft das alles im CRM zusammen und erlaubt den Unternehmen, ihre Kommunikation zu segmentieren und zu automatisieren. Dafür sind die nächsten ein bis zwei Jahre extrem wichtig.
„Wer die nötigen Schritte jetzt nicht geht, wird in wenigen Jahren Probleme in seiner Ärztekommunikation haben.“
Health Relations: Wieso dieses enge Zeitfenster?Niko Gabrielides: Weil sich gerade viele Pharmaunternehmen auf diesen Weg machen. Wer die nötigen Schritte jetzt nicht geht, wird in wenigen Jahren Probleme in seiner Ärztekommunikation haben. Wenn alle sich bewegen, ist Stillstand gefährlich.
Health Relations: Welchen Grad an Personalisierung oder Hyper-Personalisierung werden wir in fünf Jahren am Pharmamarkt sehen?Niko Gabrielides: Ich denke, dass sich Hyper-Personalisierung in der Pharmabranche anders ausprägen wird als im B2C. Die Frage ist also, was unter dieser Begrifflichkeit in Zukunft stattfinden wird. Meiner Meinung nach werden in fünf Jahren viele Unternehmen Omnichannel leben, was mit einem immer höheren Grad an Personalisierung einhergehen muss. Ich denke etwa an KI, die auf Basis bestimmter Trigger freigegebene Textblöcke zusammenbaut. Die Verknüpfung von Kanälen und die Arbeit mit Daten werden eine signifikant höhere Rolle spielen und diese stetig wachsende Personalisierung erst möglich machen. Auf Websites etwa werden sich Ärztinnen und Ärzte in einen Contenthub-Bereich einloggen und dort personalisierte Inhalte vorfinden können. Auch ChatBots werden intensiver zum Einsatz kommen. Pharmaunternehmen sollten den Elefanten jetzt in kleine Stücke schneiden. Sie müssen nicht alles auf einmal personalisieren. Wieso nicht erst mal einen Kanal optimieren, dann den nächsten und dann beide verknüpfen. Fünf kleine Schritte ergeben auch einen großen.