Pharmaunternehmen als Vorreiter der digitalen Patientenaufklärung
Pharmaunternehmen spielen bereits jetzt eine zentrale Rolle bei der Patientenaufklärung. Mit der fortschreitenden Digitalisierung bietet der Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Chance, diese Aufklärung präziser und individueller zu gestalten. Doch wie können Pharmaunternehmen diese Entwicklung aktiv mitgestalten und dabei ethische Herausforderungen meistern?
Über diese Fragestellung referierte Prof. Dr. Stefan Heinemann, Medizinethiker, Philosoph & Theologe, Experte für Wirtschaftsethik und Mitglied der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen, anlässlich der digIT Pharma & eHealth Konferenz in Düsseldorf.
Pharmaunternehmen tragen bereits seit Jahrzehnten eine immense Verantwortung, wenn es um die Aufklärung der Erkrankten über Krankheiten, Behandlungen und Medikamente geht. Diese Verantwortung wird laut Heinemann in Zukunft weiter zunehmen. „Pharmafirmen haben nicht nur rechtliche Verpflichtungen, sondern auch eine moralische Verantwortung, die Patientenaufklärung stetig zu verbessern“, betont er. In einer zunehmend digitalisierten Welt werde diese Aufgabe jedoch nicht einfacher, sondern komplexer. Unternehmen müssen sich neuen Herausforderungen stellen – aber auch enorme Chancen erkennen.
Pharmaunternehmen und die digitale Revolution der Aufklärung
Ein entscheidender Schlüssel für die Zukunft der Patientenaufklärung liegt in der Digitalisierung, insbesondere in der Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI). „Die Patientenaufklärung muss präzise und auf den individuellen Menschen zugeschnitten sein“, erklärt Heinemann. Der klassische Beipackzettel, der bisher allgemeine Informationen lieferte, wird in Zukunft sehr wahrscheinlich von interaktiven Avataren ersetzt, die der jeweiligen Patientin oder dem jeweiligen Patienten relevante, personalisierte Informationen bereitstellen. Diese digitalen Avatare könnten auf Faktoren wie Gesundheitszustand, Alter, Geschlecht und persönliche Präferenzen eingehen, um sicherzustellen, dass jede Patientin und jeder Patient genau die Informationen erhält, die er bzw. sie braucht. „Das wird die Art der Aufklärung radikal verändern – richtig angegangen kann so Digital Health Literacy zumindest in einem Bereich real werden“, vermutet der Medizinethiker.
Auch digitale Tools wie Chatbots oder virtuelle Assistenten bieten große Chancen für die Patientenaufklärung. Sie könnten rund um die Uhr verfügbar sein, in mehreren Sprachen kommunizieren und so relevante Informationen auch für solche Zielgruppen zugänglich machen, die bisher schwer zu erreichen waren. „In einer zunehmend diversen Gesellschaft ist es entscheidend, dass jeder Mensch die medizinischen Informationen versteht, die er erhält. Künstliche Intelligenz kann hier helfen, Barrieren zu überwinden“, betont Heinemann. Besonders interessant ist dabei die Möglichkeit, hochkomplexe Informationen mithilfe von Technologien wie Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) anschaulicher und verständlicher zu machen. „Patientinnen und Patienten könnten in einer AR- oder VR-Umgebung beispielsweise visualisieren, wie ein Medikament in ihrem Körper wirkt – basierend auf ihren eigenen Gesundheitsdaten“, erklärt Heinemann weiter. Dies würde die Patientenaufklärung nicht nur auf eine neue Ebene heben, sondern auch das Verständnis und die Handlungsbereitschaft der Erkrankten deutlich verbessern.
Transparenz und Ethik als Herausforderung für Pharmaunternehmen
Doch trotz dieser enormen Möglichkeiten warnt der Medizinethiker vor potenziellen Risiken. „Es gibt natürlich Interessenkonflikte, die nicht ignoriert werden können“, sagt er. Pharmaunternehmen verfolgen neben ihrer Verantwortung für die Patientenaufklärung auch kommerzielle Interessen. Dies birgt die Gefahr, dass Informationen möglicherweise zugunsten der eigenen Produkte verzerrt werden – ein Phänomen, das als Produkt-Bias bekannt ist. Heinemann sieht hier eine zentrale Herausforderung und fordert: „Die Patientenaufklärung muss transparent und unabhängig sein. Die Glaubwürdigkeit der Informationen darf durch kommerzielle Interessen nicht gefährdet werden. Was einen Wettbewerbsvorteil für so agierende Pharmas darstellen wird – Vertrauen entsteht durch echten Einsatz für das Gute. Nur darf der potenzielle Wettbewerbsvorteil nicht im Mittelpunkt stehen – darauf zu verzichten aber wäre auch nicht zielführend. Gegen verantwortlich angegangene Geschäfte ist vom Grundsatz nichts einzuwenden, im Gegenteil, denn jene erzeugen Wettbewerb für nicht verantwortlich agierende Business.“
Die Lösung dieses Konflikts: Es braucht die richtige Balance zwischen ethischen Überlegungen und dem Einsatz moderner Technologien. „Es geht darum, die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung verantwortungsvoll zu nutzen und gleichzeitig die Interessen der Patientinnen und Patienten zu wahren“, konstatiert Heinemann. Pharmaunternehmen hätten hier die Chance, nicht nur in exzellente Aufklärungsarbeit zu investieren, sondern auch ihr eigenes Image zu stärken. „Wenn Pharmafirmen es schaffen, den Patientinnen und Patienten umfassende, transparente und auf den individuellen Bedarf zugeschnittene Informationen zu liefern, dann wird dies nicht nur der Aufklärung, sondern auch ihrem Marketing zugutekommen“, ist der Ethiker überzeugt. Das gewonnene Vertrauen könne dann auch zu einer stärkeren Markenbindung führen.
Ein weiterer Aspekt, der einen hohen Einfluss auf die künftige Aufklärungsarbeit haben wird, ist der zunehmende Trend zur Prävention. „Es wird ein deutlicher Shift von der Behandlung von Krankheiten hin zur Prävention stattfinden. Das Gesundheitssystem wird langfristig nicht in der Lage sein, die Belastungen durch eine rein kurative Medizin zu tragen“, sagt er. Pharmaunternehmen könnten hier eine Schlüsselrolle spielen, indem sie nicht nur Medikamente verkaufen, sondern auch durch Aufklärung und Prävention dazu beitragen, dass Krankheiten gar nicht erst entstehen. „Pharmafirmen müssen sich auf diese Rolle einlassen und aktiv an der Gesundheitsprävention mitarbeiten“, fordert Heinemann. Auch hier sieht er den Einsatz von KI als entscheidenden Faktor, um die Reichweite und Wirksamkeit von Präventionskampagnen zu erhöhen. „Technologien wie KI ermöglichen es, gezielte und auf die einzelne Patientin und den einzelnen Patienten zugeschnittene Präventionsmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Das wird in Zukunft immer wichtiger werden, um die steigenden Gesundheitskosten einzudämmen“, so Heinemanns Voraussage.
Fazit
Die Zukunft der Patientenaufklärung liegt in den Händen der Pharmaunternehmen – und in den Möglichkeiten, die digitale Technologien bieten. Künstliche Intelligenz und interaktive Tools werden die Art und Weise, wie Patienten informiert werden, radikal verändern. Wenn Unternehmen diese neuen Technologien ethisch und transparent nutzen, können sie nicht nur das Vertrauen der Patienten gewinnen, sondern auch eine Vorreiterrolle in der Gesundheitsprävention übernehmen. Es gilt, diese Chancen zu ergreifen und die digitale Patientenaufklärung auf ein neues Niveau zu heben.
Pharmaunternehmen, die in diese Entwicklungen investieren, werden nicht nur an Einfluss gewinnen, sondern auch langfristig ihre Position im Gesundheitsmarkt stärken. Erkrankte erwarten heutzutage mehr als nur den Verkauf von Medikamenten. Sie suchen nach vertrauenswürdigen Informationen, präzisen Erklärungen und maßgeschneiderten Lösungen – und genau hier liegt die Chance für Pharmaunternehmen, ihre Expertise und ihre Ressourcen optimal einzusetzen.