Seit der Pandemie hat sich das Gesundheitsverständnis in der Gesellschaft verändert. Dadurch ergeben sich neue Chancen für die Kommunikation von Pharmaunternehmen. Welche das sind, erklärt Thilo Boullion von Pink Carrots.
Das
Gesundheitsverständnis 2023 ist ein anderes als noch vor einigen Jahren. Zum einen ist Krankheit als Gegenpol zu Gesundheit unter Corona wieder stärker präsent geworden.
Zwangsläufig, denn die Pandemie spielte sich nicht nur hinter Krankenhaustüren ab, sondern hatte unmittelbaren Einfluss auf den Alltag eines jeden Einzelnen. Zum anderen hat Gesundheit heute viele Dimensionen. Die Menschen verbinden mit dem Begriff weitaus mehr als nur das physische Wohlbefinden. Mit der Pandemie mussten viele lernen, welche Relevanz die mentale Gesundheit hat und dass es auch soziale Aspekte gibt, die positiv oder negativ auf das individuelle Wohlbefinden einwirken. Hinzu kommt die Gesundheit unseres Planeten, die für das Wohlergehen aller immer entscheidender wird.
Kurz gesagt: Das Thema Healthcare ist komplexer und vielschichtiger geworden. Es hat neue Bedürfnisse entstehen lassen und bietet daher auch die Chance, mit neuen Antworten im Marketing einen positiven Unterschied zu machen. Auch wenn es um Rx-Corporate- oder Rx-Product-Brands geht.
Hin zu mehr Markenbewusstsein
Viele Pharmaunternehmen, die verschreibungspflichtige Medikamente – also
Rx-Produkte – herstellen, haben sich in der Vergangenheit sehr bewusst nicht als Marken begriffen oder gar nach außen sichtbar positioniert. Primär, weil dafür wenig Notwendigkeit bestand oder gesehen wurde. Denn: Nicht Patient:innen, sondern Ärzt:innen treffen die Entscheidung, ob sie ein Medikament verschreiben, oder nicht. Also eine Zielgruppe, für die rein sachliche Produktfunktionen und Wirkweisen auf den ersten Blick im Vordergrund stehen. Entsprechend bedeutete Marketingkommunikation früher eher Funktionskommunikation – das klassische Spielfeld der Health-Agenturen.
Ein weiterer Grund, sich nicht unbedingt öffentlich als Marke zu positionieren, ist, dass Entscheidende in Pharmaunternehmen natürlich um ihre Branchenwahrnehmung wissen. Es ist nun mal heikel, wenn man mit Krankheiten oder Defiziten von Menschen Geschäfte macht. Auf diesem Nährboden das eigene Image via Kommunikation entwickeln zu wollen, erschien sehr risikobehaftet – da der gute Wille schnell negative Auswirkungen haben kann.
Corona: Pharmaunternehmen als Unternehmensmarke
Bereits vor der Pandemie hat ein Umdenken begonnen. Corona hat die Ausgangssituation von Pharmaunternehmen als
Corporate Brands, sprich die Wahrnehmung der Unternehmensmarke, allerdings noch einmal ein Stück weit verändert: Als „Impfstoff-Gatekeeper“ und damit als einzige Branche, die die gesamtgesellschaftliche Gesundheit wieder herstellen konnte, standen
Pharmahersteller plötzlich deutlich anders in der öffentlichen Diskussion als zuvor. Ob sie das wollten oder nicht: Sie wurden jetzt als Marken begriffen, diskutiert, gemocht oder abgelehnt.
Pharmaunternehmen, die diese neue Realität annehmen und beginnen, ihre
Unternehmensmarke aktiv und intelligent zu managen, können sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Weit über die Corona-Thematik hinaus und zielgruppenübergreifend. Denn ein verantwortungsvolles Handeln und ein positives Unternehmensbild sind nicht nur für die breite Öffentlichkeit, sondern auch für die Zielgruppe der Ärzte und Ärztinnen relevant (Lesen Sie dazu den Beitrag:
Pharma Reputation: Für den Arzt zählt der Ruf des Unternehmens).
Dabei sollten Unternehmen aber in erster Linie in
Aktionen und erst nachgelagert in Imagekommunikation denken. Aktiv und sichtbar gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, das ist der Schlüssel zu einem glaubwürdigen Corporate Brand Management. Dazu gehört es, die soziale Gesundheit zu fördern und aktiv in die Planetengesundheit zu investieren, um so den neu hinzugekommenen gesundheitlichen Aspekten gerecht zu werden.Patientenkommunikation auf Augenhöhe als Erfolgsfaktor für Rx
Kommunikation sollte in der Folge dazu genutzt werden, die Markenleistungen zu offenbaren und lebendig werden zu lassen. Zwar ist und bleibt die Zielgruppe der Healthcare Professionals (HCP) der Gatekeeper für den Markterfolg einer Rx-Brand. Hier spielen Medical Storytelling und empathische Botschaften inzwischen eine zunehmend wichtigere Rolle.
Allerdings sollte das Pharma-Marketing die indirekte, aber wichtiger werdende Rolle der Patientenseite neu bewerten.
Das
neue Gesundheitsverständnis hat zur Folge, dass sich
die Menschen hierzulande mit bestehenden Gesundheitsproblemen und Krankheiten differenzierter befassen. Patient:innen wollen aktiver mit ihrer Gesundheit und ihrer Krankheit umgehen. Das heißt: Sie wollen eine nur passive Rolle als unreflektierter Therapie-Empfänger vermeiden. Stattdessen wollen sie so weit wie möglich selbst Einfluss nehmen und ihrem behandelnden Arzt oder ihrer Ärztin auf Augenhöhe begegnen.
Durch Aufklärungsarbeit Falschinformationen vermeiden
Da Healthcare Professionals die Aufgabe einer individuellen
Patientenaufklärungaufgrund geringer Zeitbudgets im Praxisalltag nur bedingt ausfüllen können, nutzen viele Menschen notgedrungen andere, frei zugängliche Informationsquellen.
Im Netz finden sich reichlich Inhalte zu jeder denkbaren Indikation. Allerdings ist dieser Content meist nicht fachlich kuratiert und oft widersprüchlich.
Die Folge: Viele Patient:innen sind verunsichert und im schlimmsten Fall falsch informiert – also in einem Zustand, der jede Behandlung erschwert. Das wiederum kann sich schnell negativ auf die Bereitschaft der Betroffenen auswirken, die Therapie voll und ganz mitzutragen. Behandlungserfolge werden limitiert und der Markterfolg von Rx-Marken leidet.Woran die Patientenkommunikation in Rx oft scheitert
Strategisches Pharma-Marketing kann sich dem stellen, indem es die
Patientenaufklärung auf Augenhöhe als einen wichtigen Aspekt der Rx-Kommunikation versteht. Entsprechend nicht als „Nice-to-have“ und eigene Corporate-Social-Responsibility-Botschaft begreift, sondern eines in Richtung HCP und Patient:in gedachten Gesamtkonzepts synchronisiert und implementiert.
Viele Pharmaunternehmen sehen sich bereits in der Pflicht, auch der Patientenseite relevante Inhalte anzubieten. Sie stellen Informationsplattformen zur Verfügung oder arbeiten an entsprechenden Angeboten.
Aber: Oft sind diese Einzel-Maßnahmen nicht strategisch in die Rx-Markenkommunikation des Unternehmens eingebettet, sondern laufen sowohl organisatorisch als auch inhaltlich getrennt davon.Pharmaunternehmen, die hier nachbessern, können sich einen signifikanten Vorteil verschaffen und adäquate Aufklärungsarbeit leisten. Positiver Nebeneffekt: Wenn sie Betroffene über alle Nutzenaspekte von Therapieoptionen informieren, erleichtern sie automatisch auch die Kommunikation zwischen HCP und Patient:in. Darüber hinaus fördern sie den Einsatz sinnvoller Therapien, indem sie die Bereitschaft und Adhärenz auf Seiten der Patient:innen steigern. Viele positive Effekte also nicht nur für den eigenen Marken-, sondern auch langfristigen Unternehmenserfolg.Fazit
Ein neues gesamtgesellschaftliches Gesundheitsbewusstsein eröffnet für Corporate Brands wie auch für Rx-Marken viel – oft noch ungenutztes – Potenzial: Pharmaunternehmen haben jetzt die Chance, aktiv und sichtbar gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Beispielsweise, indem sie sich für die Planetengesundheit einsetzen oder soziales Engagement zeigen. Darüber hinaus sollten sie den Patient:innen stärker in den Fokus rücken. Allerdings: Dabei nicht in Einzelmaßnahmen denken, sondern die Patientenkommunikation auf Augenhöhe strategisch in die Rx-Kommunikation integrieren. Wer diese Chancen als erstes wirklich erkennt und ergreift, wird sich einen enormen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Wird die Kommunikation dann noch in Co-Creation mit Patient:innen erarbeitet, ist ein wichtiger Schritt getan.
Über den Autor
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© Pink Carrots[/caption]
Thilo Boullion ist Director Strategy & Creative Planning bei der auf Health und Wellbeing spezialisierten Kommunikationsagentur PINK CARROTS. Das Team aus 50 Mitarbeitenden versteht Gesundheit als breites Dach. Und als weites Feld voller Möglichkeiten, um Menschen und Marken zu verbinden.