Recruiting im Pharmamarketing: Die Ansprüche von Arbeitnehmern steigen
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Die Pharmabranche steht vor großen Herausforderungen: Nachhaltigkeit, Fachkräftemangel und eine neue Generation von Talenten verändern die Anforderungen an Unternehmen grundlegend. Christoph Andris, Geschäftsführer der Personalberatung Andris Consulting, erklärt im Gespräch, welche Rolle moderne Führung, agile Arbeitsweisen und gezieltes Marketing dabei spielen – und warum klassische Karrieremodelle zunehmend ausgedient haben.
Health Relations: Der heutige Arbeitsmarkt verlangt neue oder andere Kompetenzen von Mitarbeitenden. Welche sind das?
Christoph Andris:Was früher Soft Skills waren, sind heute entscheidende Hard Skills geworden. Führungskräfte im Pharmamarketing müssen Veränderungen moderieren, Visionen entwickeln und ihre Teams begeistern können. Es reicht nicht mehr, fachlich exzellent zu sein. Kandidatinnen und Kandidaten müssen heute die Fähigkeit haben, auch unter Druck flexibel zu reagieren, strategisch zu denken und empathisch zu führen. Die Anforderungen sind heute enorm breit gefächert: Von der emotionalen Intelligenz über Konfliktfähigkeit bis hin zur Fähigkeit, komplexe Situationen schnell und effektiv zu analysieren und dabei kreative Lösungen zu entwickeln.
„Interessant ist, dass inzwischen oft die Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden, ob ein Unternehmen attraktiv ist – und nicht mehr umgekehrt. (…) Arbeitgeber aus der Pharmabranche stehen vor der Herausforderung, eine junge, hoch qualifizierte Zielgruppe zu erreichen, die andere Erwartungen an Arbeitgeber und Arbeitsbedingungen hat als früher.“
Health Relations: Wie wirkt sich das konkret auf die Unternehmen aus?
Christoph Andris: Pharmaunternehmen, die sich darauf einstellen, profitieren eindeutig. Wir sehen zunehmend Firmen, die agiler werden, Führungskräfte einstellen, die als inspirierende Leader auftreten, und Raum für selbstständiges Arbeiten geben. Interessant ist, dass inzwischen oft die Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden, ob ein Unternehmen attraktiv ist – und nicht mehr umgekehrt. Da geht es um Flexibilität, Work-Life-Balance und vor allem um einen klaren Purpose, also einen tieferen Sinn hinter der täglichen Arbeit. Gerade junge Talente wollen sehen, dass ihre Ideen ernst genommen werden und ihre Arbeit direkt auf Ergebnisse einzahlt, die für die Gesellschaft spürbar sind.
Health Relations: Was sind aktuell die größten Herausforderungen für das Recruiting im Pharmamarketing?
Christoph Andris:Arbeitgeber aus der Pharmabranche stehen momentan vor der Herausforderung, eine junge, hoch qualifizierte Zielgruppe zu erreichen, die andere Erwartungen an Arbeitgeber und Arbeitsbedingungen hat als früher. Gerade bei jüngeren Talenten ist Selbstwirksamkeit entscheidend: Zwar wollen sie bei einem Arbeitgeberwechsel nicht weniger verdienen, möchten aber bei einem Wechsel Gewissheit, dass ihre Arbeit sinnstiftend ist und sie dabei wirklich etwas bewirken können.
Health Relations: Sie sprechen von Purpose. Warum ist gerade das in der Pharmawelt wichtig und birgt das nicht auch eine tolle Chance für die Firmen, Talente anzuziehen?
Christoph Andris:Gerade nach der Corona-Pandemie hat die Pharmabranche gezeigt, dass sie nicht nur ein Geschäftsfeld ist, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung trägt. Dieses Bewusstsein macht sie für junge Talente attraktiv. Unternehmen, die es schaffen, diesen gesellschaftlichen Mehrwert klar zu kommunizieren, haben im Wettbewerb um die besten Köpfe deutliche Vorteile. Purpose wird damit zum zentralen Element moderner Markenführung. Talente wollen wissen, welchen Beitrag das Pharmaunternehmen für die Gesellschaft leistet und wie glaubwürdig diese Werte tatsächlich gelebt werden.
„Unternehmen, die es schaffen, diesen gesellschaftlichen Mehrwert klar zu kommunizieren, haben im Wettbewerb um die besten Köpfe deutliche Vorteile. Purpose wird damit zum zentralen Element moderner Markenführung.“
Health Relations: Die Pharmafirmen sehen sich also vielen Herausforderungen gegenübergestellt: Sie brauchen Mitarbeitende mit neuen Kompetenzen und müssen das Bedürfnis der Mitarbeitenden, selbstwirksam und kreativ zu arbeiten, erfüllen. Zugleich erleben die Firmen eine zunehmende Regulatorik. Wie passt das zusammen?
Christoph Andris:Das ist tatsächlich eine spannende Herausforderung. Pharmamarketing findet immer in einem Spannungsfeld zwischen strengen Compliance-Regeln und dem Bedürfnis nach Innovation statt. Die Kunst ist, regulatorische Vorgaben intelligent und kreativ zu interpretieren, ohne sie zu verletzen. Genau solche Fähigkeiten suchen Unternehmen jetzt verstärkt in ihren Mitarbeitenden. Kandidatinnen und Kandidaten, die strategisch denken und nicht nur die Risiken, sondern auch Chancen sehen und umsetzen können, sind extrem gefragt. Der Mut, Entscheidungen zu treffen und diese auch gegenüber Compliance-Abteilungen klar zu vertreten, wird immer wichtiger.
Health Relations: Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt in der Pharmabranche?
Christoph Andris: Derzeit erleben wir tatsächlich eine gewisse Entspannung am Arbeitsmarkt. Pharmaunternehmen bekommen leichter geeignete Kandidatinnen und Kandidaten, als es noch vor wenigen Jahren der Fall war. Das liegt unter anderem daran, dass einige Marktsegmente aktuell weniger Druck haben. Aber ich warne davor, sich darauf auszuruhen. Erfahrungsgemäß ändern sich solche Phasen recht schnell, und der Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte wird wieder zunehmen. Der demografische Wandel ist nicht zu leugnen. Wer jetzt die eigenen Recruiting-Strategien weiterentwickelt und in attraktive Arbeitsbedingungen investiert, sind langfristig klar im Vorteil.
Health Relations: Wie sieht erfolgreiches Recruiting in diesem anspruchsvollen Umfeld aus?
Christoph Andris:Recruiting wird immer mehr zu einer Frage des gezielten Beziehungsmanagements. Es geht nicht nur darum, Talente zu identifizieren, sondern sie emotional an das Pharmaunternehmen zu binden. Je besser und transparenter die Kommunikation im Bewerbungsprozess, desto höher die Chance, langfristig zufriedene Mitarbeitende zu gewinnen. Gerade in den ersten Monaten nach der Einstellung sind Menschen besonders sensibel. Pharmaunternehmen, die das berücksichtigen, reduzieren die Fluktuation erheblich. Wichtig ist dabei auch, den Talenten frühzeitig zu zeigen, dass das Unternehmen wirklich Interesse an ihren persönlichen Zielen hat und bereit ist, diese zu unterstützen.
Health Relations: Welche Bedeutung haben dabei flexible Arbeitsmodelle wie Remote-Work?
Christoph Andris: Remote- und Hybridmodelle haben enorm an Bedeutung gewonnen und sind inzwischen ein entscheidender Wettbewerbsfaktor im Recruiting. Wer hier zu wenig Flexibilität zeigt, verlieren deutlich an Attraktivität. Vor allem jüngere Fachkräfte erwarten heute ganz selbstverständlich, dass sie Arbeit und Privatleben individuell gestalten können. Arbeitgeber, die dies nicht bieten, haben eindeutig das Nachsehen. Dabei gilt es, ein gesundes Gleichgewicht zu finden, denn vollständige Remote-Arbeit birgt ebenfalls Risiken für die Unternehmenskultur und das Teamgefüge. Die Balance und gezielte Führung sind entscheidend.
„Kandidatinnen und Kandidaten, die strategisch denken und nicht nur die Risiken, sondern auch Chancen sehen und umsetzen können, sind extrem gefragt. Der Mut, Entscheidungen zu treffen und diese auch gegenüber Compliance-Abteilungen klar zu vertreten, wird immer wichtiger.“
Health Relations: Abschließend: Was erwarten Sie für die nächsten Jahre für die Arbeit im Pharmamarketing?
Christoph Andris: Gerade erleben wir eine tiefgreifende Transformation. Die Arbeitswelt wird flexibler, Führung wird empathischer, und der Bedarf nach klarer Sinnorientierung steigt weiter. Gleichzeitig bringt Künstliche Intelligenz enorme Veränderungen, auch im Marketing. Unternehmen, die diese Dynamik aktiv gestalten, werden erfolgreich sein. Wer hingegen starr an alten Mustern festhält, wird es immer schwerer haben, Talente zu gewinnen und zu halten. Nachhaltigkeit, Purpose und Flexibilität werden zu Schlüsselfaktoren. Gerade in der Pharmabranche wird es entscheidend sein, offen für Innovationen zu bleiben und gleichzeitig eine klare gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Firmen sollten diese Herausforderung aktiv angehen, um für die Zukunft bestens aufgestellt zu sein.