In der November-Kolumne schreibt Dr. Gerd Wirtz über Innovationen in der Medizin. Er ist überzeugt: Die Zukunft gehört strategischen Allianzen mit Innovationsführern. Doch welche Rollen haben Krankenversicherungen, Pharmaunternehmen, Ärzte und Politik beim Fortschritt der Digitalisierung im Gesundheitswesen?
In der Medizin gibt es zwei Arten von Innovationen. Die physisch „anfassbaren“ mechanischen, elektrischen, biologischen und chemischen Neuheiten sowie die digitalen Innovationen. Hier zu zählen KI, Robotik, Apps und digitale Anwendungen. Diese Unterteilung nimmt die Unternehmensberatung Roland Berger in ihrer Studie
"Future of Health" vor.
Dabei liefen diese Entwicklungen immer parallel und beginnen nun zusammenzuwachsen. Damit könnten sie einen wahren Turbo auslösen.
Die
physischen Innovationen sind zumeist Verbesserungen in der Therapie und werden angewendet, um Prozesse im und am Körper zu verändern. Diese Eingriffe sind dann besonders sinnvoll, wenn ein Mensch bereits krank ist. Bei der Heilung von Erkrankungen selbst stoßen
digitale Innovationen derzeit noch schnell auf unüberwindbare Grenzen. Deren große Stunde schlägt bei der Früherkennung, Verhinderung und Diagnose von Erkrankungen. Und da ist es kein Wunder, dass diese beiden Stränge, wenn sie sinnvoll miteinander verknüpft werden, unser Gesundheitswesen und damit auch die Gesundheit eines jeden einzelnen fundamental verändern werden.
Allianzen gehört die Zukunft
Aus meiner Sicht ist das nicht nur eine gute Nachricht für Patienten, sondern auch ein gutes Signal für die klassische Pharmaindustrie. Ich habe in den letzten Jahren von vielen Schreckensszenarien gehört, in denen prognostiziert wurde, dass die klassische Pharmaindustrie durch digitale Giganten abgelöst werde. Diese Prognose scheint sich nach dieser neuesten Befragung nicht zu bewahrheiten, sondern es wird eher ein Miteinander und ein partnerschaftliches Zusammenarbeiten sein. Die Pharmaunternehmen, die jetzt schon begonnen haben,
strategische Allianzen mit Innovationsführern und hoffnungsvollen Start-ups aus der digitalen Welt zu knüpfen, werden sicherlich in ein paar Jahren von diesen Investitionen profitieren.
Was treibt die Medizinwelt voran?
Wie sieht es mit der zukünftigen Rollenverteilung anderer Beteiligten im Gesundheitswesen aus?
Die Medizin wandelt sich von einer experimentellen wissenschaftlichen Disziplin zu einer datengetriebenen Disziplin. Deshalb wird die Arbeit rund um Erhebung, Verwaltung, Sicherung und Verteilung von Daten ein ganz neues großes Betätigungsfeld werden. Sind es ganz neue Unternehmen oder werden es politische Institutionen sein, die diese Aufgabe in Zukunft erfüllen? Das ist noch eine spannende Frage.
Krankenversicherungen hatten bisher immer die Aufgabe, die Innovationen zu finanzieren und darauf zu achten, dass Innovationen bezahlbar bleiben. Die Aufgabe wird in Zukunft immer schwerer und
einige der Kostenträger haben schon entdeckt, dass es sich lohnt mehr darauf zu achten, auch präventive Maßnahmen zu fördern, um sich am Ende sehr teure Therapien zu ersparen.
Die Bedeutung von Prävention und Früherkennung nimmt immer mehr zu und damit verändern sich die
Anforderungen bei Leistungserbringern wie Ärzten, Apothekern und Physiotherapeuten. Hier bieten sich ganz neue Chancen zum Partner und Coach des Patienten unabhängig von Krankheiten zu werden. Allerdings wird auch der Wunsch nach unkomplizierter Leistungserbringung „on demand“ im Vordergrund stehen. Wer seine Geschäftsmodelle nicht digitalisiert, wird auf der Strecke bleiben. Leistungen und Behandlungen werden immer individueller auf die Bedürfnisse spezifischer Erkrankungen zugeschnitten, und damit schlägt die Stunde der Spezialisten.
Was bremst die Digitalisierung?
Patienten bekommen zunehmend Einfluss auf ihre Therapie und damit kommt auch mehr Verantwortung für ihre eigene Gesundheit dazu. Damit sie dieser Verantwortung gerecht werden können, brauchen sie einfachen Zugang zu ihren eigenen Daten. Die Krankenkassen sind die zentralen Verwaltungsstellen dieser Daten und bestens dazu geeignet, den Patienten das Wissen und die Kompetenz zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen. Doch wer führt die Patienten und medizinischen Fachkräfte an die neuen Technologien heran?
Wir brauchen Initiativen, die Ängste abbauen und beiden Seiten die Vorteile neuer Technologien anschaulich näherbringen. Doch herrschen bei den Leistungserbringern herrschen oftmals noch große Vorbehalte. Diese Widerstände bremsen die Innovation aus.
Wenn wir mit der Einführung neuer Techniken warten, bis sie perfekt laufen, läuft uns der Fortschritt davon.