Amazon mischt den Online-Apothekenmarkt auf. Wie müssen sich Pharmafirmen jetzt positionieren und auf veränderte Bedingungen reagieren? Sicher ist, wer jetzt nicht auf die wichtigen Trends setzt, wird abgehängt. Das sagt Kim Lander vom Münchner Beratungsunternehmen Smile BI GmbH.
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Das Unternehmen Smile AI GmbH ist auf E-Pharmacy Analytics & Consulting spezialisiert und hat eine spezielle Amazon-Studie durchgeführt, die sich mit diesen Fragen beschäftigt. Kim Lander, Head of E-Commerce & Business Development, ordnet im Interview Amazons künftige Position im Markt ein.
Health Relations: Wie wird sich die Einführung einer eigenen Amazon Pharmacy in Deutschland voraussichtlich auf die Marktanteile etablierter E-Pharmacies auswirken?Kim Lander: Amazon könnte innerhalb von drei Jahren zum Marktführer im deutschen Apothekenmarkt aufsteigen. Eine mutige These, aber durchaus möglich, wenn der Marketplace ab Mitte 2024 eine eigene Apotheke in sein Geschäftsmodell integriert. Diese strategische Erweiterung würde Amazon von den bestehenden Versandapotheken abheben und eine direkte, unabhängige Vertriebslinie für rezeptpflichtige und rezeptfreie Medikamente ermöglichen.
Health Relations: Interessante These, ja. Welche Stärken von Amazon treiben diese Entwicklungen voran? Kim Lander:Die Stärke von Amazon liegt in seinem etablierten Logistiknetzwerk und der Fähigkeit, eine beispiellose Convenience zu bieten. Die Verbraucher:innen setzen zunehmend auf einfache, schnelle und zuverlässige Lösungen für ihre Einkäufe – ein Trend, der sich in der zunehmenden Popularität von One-Stop-Shops zeigt. Als Vollsortimenter mit einer breiten Produktpalette und bewährter Zustellkompetenz wäre Amazon in einer hervorragenden Position, diesen Bedarf zu decken. Das hat eine Verschiebung der aktuellen Marktanteile zur Folge. Die Shop-Apotheke sehen wir als gleichbleibend stark. Darunter leiden werden insbesondere kleiner Shops und vor allem die, die nicht mit Preisvorteilen gegenüber Amazon und Shop-Apotheken punkten können. Für DocMorris kann das auch einen Rückgang bedeuten.
Health Relations: Das hat ja auch Auswirkungen darauf, wie Pharmafirmen sich in diesem sich verändernden Markt platzieren müssen. Welche Strategien empfehlen Sie für Pharmaunternehmen, um effektiv neue Kunden über Amazon zu gewinnen und welche Rolle spielen dabei gezielte Werbekampagnen?Kim Lander:Letztendlich funktioniert Amazon im Apothekenmarkt ähnlich wie die klassischen Onlineapotheken. Dementsprechend werden ähnliche Kennzahlen zu wichtigen Optimierungshebeln. Dabei spielen die Produktseitenqualität und die Sichtbarkeit organisch bis hin zu bezahlt die größte Rolle. Das Schöne ist, dass Hersteller bei Amazon selbst als Markenowner ihre Produkte optimieren können. Das ist ein großer Vorteil gegenüber Shop-Apotheke und Co., wo Hersteller auf die Umsetzung der Shops angewiesen sind.
"Letztendlich funktioniert Amazon im Apothekenmarkt ähnlich wie die klassischen Onlineapotheken."
Health Relations: Wie können Pharmaunternehmen ihre Produkte auf Amazon effektiver platzieren, um die Sichtbarkeit und den Absatz zu maximieren?Kim Lander:Um die Sichtbarkeit und den Absatz von Pharmaprodukten auf Amazon zu maximieren, sollten sich Unternehmen auf die Optimierung der Produktlistungen mit klaren Beschreibungen und relevanten Keywords konzentrieren, den Grey Market aufräumen – ein bekanntes Problem auf Amazon – gezielt Amazon Advertising auf Basis von manuellen und AI-getriebenen Optimierungen betreiben und aktiv Kundenrezensionen managen. Zudem sollten kontinuierlich die Markttrends beobachtet und Strategien angepasst werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Darüber hinaus ist es wichtig – im Rahmen der Möglichkeiten – mithilfe eines eigenen Accounts das Kundenerlebnis und die Performance kontinuierlich zu verbessern und hochzuhalten. Hier ist man gut beraten, sich Unterstützung von einer Agentur zu holen.
Health Relations: Welchen Einfluss hat das Influencer Marketing auf die Kaufentscheidungen der Kund:innen im Pharmasektor auf Amazon und wie misst Amazon den Return on Advertising Spend (ROAS) für solche Kampagnen?Kim Lander:Influencer:innen werden von Follower:innen als vertrauenswürdige Informationsquelle angesehen und eine Produktempfehlung von diesen ist vergleichbar mit Empfehlungen von Freunden oder Familie. Zudem haben Influencer:innen oft eine spezifische Zielgruppe, die sich nach Alter, Geschlecht, Interessen oder anderen demografischen Merkmalen unterscheidet. Das ermöglicht es Pharmaunternehmen, ihre Produkte gezielt bei der relevanten Konsumentengruppe auszusteuern. Nicht nur die Reichweite spielt eine Rolle, sondern auch je authentischer und je häufiger ein Produkt hintereinander empfohlen wird, umso höher ist die Kaufwahrscheinlichkeit. Mithilfe von Attributionsmodellen, Trackinglinks sowie Influencer-Codes kann der ROAS präzise errechnet werden.
Health Relations: Unterstützt Amazon Pharmaunternehmen eigentlich dabei, die Kundenbindung und Loyalität zu stärken, beispielsweise durch Plattform-spezifische Tools und Angebote?Kim Lander: Ja, etwa mit personalisierten Empfehlungen und gezielten Werbekampagnen. Mit Display Ads und Amazon DSP können Kund:innen mit maßgeschneiderten Angeboten und relevanten Produkten auf Basis von Kundenverhalten und Vorlieben angesprochen sowie mit Retargeting an das Produkt erinnert werden. Darüber hinaus bietet Amazon detaillierte Analysen und Einblicke in Kundendaten, ideal, um die Marketingstrategien zu optimieren und effektiver auf die Bedürfnisse der Zielgruppen einzugehen.
Die Amazon-Studie
Die "Amazon-Studie 24" von SmileBI gibt Einblicke in den Einfluss von Amazon auf den deutschen und globalen Pharmamarkt. Sie analysiert die wichtigsten Gesundheitskategorien und -marken, die Entwicklung von Amazon als Apotheke, und den wachsenden digitalen Pharmamarkt bis 2030. Die Studie enthält auch Details zum Amazon-Werbemarkt und bietet Antworten auf häufig gestellte Fragen von Herstellern. Strategien wie Influencer Marketing, Amazon Ads und spezialisierte Datenanalysen sind Teil des untersuchten ganzheitlichen Ansatzes.
Health Relations: Amazon ist ja bekanntlich ein Datenriese. Wie nutzt der Konzern datengesteuerte Analysen, die wiederum Pharmaunternehmen bei der Optimierung ihrer Marketingstrategien helfen? Und gibt es Informationen, die nicht bereitgestellt werden?Kim Lander:Amazon stellt Daten über Kundenverhalten und Kaufmuster bereit. Im Bereich Advertising erhält man alle relevanten KPIs. Dadurch lassen sich Zielgruppen, Keywords und Wettbewerbsprodukte präziser identifizieren und die Effektivität kann laufend maximiert werden. Marktdaten, Umsätze, organische Rankings, Werbedruck – alles relevant für Marktveränderungen und Strategien – liefert Amazon leider nicht.
Health Relations: Inwieweit unterstützt Amazon die Abwicklung digitaler Rezepte und wie könnte dies die Kundeninteraktionen und -transaktionen beeinflussen?Kim Lander:Amazon hat mit Amazon Pharmacy in den USA einen spezialisierten Dienst für den Verkauf und die Lieferung von verschreibungspflichtigen Medikamenten eingeführt. Jedoch ist Amazon Pharmacy nicht in Deutschland verfügbar, da hier strengere Vorschriften und gesetzliche Einschränkungen für den Online-Handel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten gelten. In Deutschland müssen Apotheken, die Online-Dienste für den Versand von Medikamenten anbieten, bestimmte regulatorische Anforderungen erfüllen, und das E-Rezept befindet sich noch in der Implementierungsphase. Dennoch bietet Amazon eine Plattform für den Verkauf von rezeptfreien Medikamenten und Gesundheitsprodukten. Der Einfluss von Amazon auf die Kundeninteraktionen im Pharmabereich in Deutschland könnte sich jedoch in Zukunft ändern, wenn die Einführung von E-Rezepten weiter fortschreitet und gesetzliche Rahmenbedingungen möglicherweise angepasst werden.
Health Relations: Welche Tools bietet Amazon zur Analyse der Wettbewerbslandschaft im Pharmamarkt und wie können Unternehmen diese Informationen nutzen, um ihre Strategien anzupassen?Kim Lander: Mit der Markenanalyse zeigt Amazon gewisse Datenpunkte vom Wettbewerb, allerdings sind hier wie oben bereits erwähnt viele wichtige KPIs wie Marktdaten, Umsätze etc. nicht enthalten. Diese Lücke haben wir bspw. in unserer Amazon App behoben.
Health Relations: Welche Trends und Innovationen sehen Sie für Amazon im Bereich des Online-Pharmamarketings und wie sollten sich Pharmaunternehmen darauf vorbereiten?Kim Lander:Im Bereich des Online-Pharmamarketings zeichnen sich für Amazon Trends wie die zunehmende Digitalisierung des Gesundheitswesens, die Integration von KI-gesteuerten Analysetools und die Verwendung von Big Data zur Personalisierung der Kundenansprache ab. Zudem ist eine agile Anpassung an regulatorische Änderungen essenziell, um in diesem schnelllebigen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Amazon wird langfristig auch die Implementierung von E-Rezepten und telemedizinischen Diensten weiter vorantreiben. In 2030 könnte Amazon mit der eigenen Apotheke 37 Prozent Marktanteil in der Online-Pharmabranche einnehmen. Wer jetzt noch nicht auf Amazon, KI, Digitalisierung und Big Data setzt, verpasst am Ende den Zug.