Dr. Jörg Mütze, Veeva: „Die Video-Kommunikation mit Ärzten ist noch ausbaufähig“

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Dr. Jörg Mütze,Head of DACH (Commercial Solutions), Strategy at Veeva Systems, betont, dass Pharma Standardisierung und Datenhygiene braucht. ©Veeva
Das Unternehmen Veeva unterstützt u.a. Pharmafirmen dabei herauszufinden, über welche Kanäle Ärztinnen und Ärzte angesprochen werden wollen und wie man Omnichannel sinnvoll ausbauen kann. Doch dazu braucht es erst einmal standardisierte und gereinigte Daten, sagt Dr. Jörg Mütze, Head of DACH (Commercial Solutions), Strategy bei Veeva Systems.
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Health Relations: Daten und Software sind zentrale Säulen Ihres Geschäfts. Könnten Sie dies näher erläutern?

Dr. Jörg Mütze: Daten sind tatsächlich eine wichtige Säule unseres Geschäfts. Unsere Vision ist es, Software und Daten zusammenzubringen, um ein besseres Kundenerlebnis zu ermöglichen. Oft war es in der Vergangenheit so, dass es einen bunten Strauß an Softwareprodukten gab, die nicht miteinander gearbeitet haben. Am Ende hatte man dann eine Landschaft von vielen Anbieter:innen und Softwareprodukten, die man managen musste, ohne dass sie miteinander kommunizieren konnten. Unser klarer Fokus liegt daher darauf, Softwareprodukte zusammenzubringen und die Kommunikation zwischen ihnen herzustellen, was wiederum Prozesse in Pharmaunternehmen vereinfacht. Ziel dabei ist es immer, Medikamente möglichst schnell, zielgerichtet und effizient auf den Markt zu bringen, damit Patientinnen und Patienten davon profitieren.

Über Veeva
Veeva Systems ist ein globales Softwareunternehmen mit deutschem Hauptsitz in Frankfurt, das von 20 der größten Pharmaunternehmen weltweit genutzt wird. Es zählt nach Unternehmensangaben zu den Top 20 aller Veeva-Produkte und arbeitet mit über 1000 Kunden weltweit zusammen. Der Fokus liegt auf der gesamten Wertschöpfungskette der Pharmaunternehmen, von der Forschung bis zur Kommerzialisierung.

Health Relations: Sie bringen auch Daten zusammen. Auf welche Probleme stoßen Sie dabei?

Dr. Jörg Mütze: Wir entwickeln unter anderem eine Standard-Taxonomie für Daten, damit die Industrie die gleichen Begrifflichkeiten und Definitionen nutzt. Dieser Standard wird auch öffentlich zur Verfügung gestellt. Es sind oft einfache Dinge, die dabei helfen, etwa den Namen einer Ärztin oder eines Arztes in verschiedenen Abteilungen einheitlich zu definieren. Zum Beispiel kann der Name in der Marketingabteilung „Die Müller Apotheke“ sein, im Vertrieb „Die Christian Müller Apotheke“ und in einer dritten Abteilung „C. Müller“. Wenn diese Informationen unterschiedlich gespeichert sind, erkennt man oft nicht, dass es sich um den gleichen Apotheker handelt.

Health Relations: Es geht also um Standardisierung und Datenhygiene. Sehen Sie das als eine große Herausforderung für deutsche Pharmaunternehmen?

Dr. Jörg Mütze: Absolut, das ist ein riesiges Thema. Über die Jahre haben Firmen viele Kundendaten in verschiedenen Abteilungen und Standards gesammelt, die oft in Silos existieren. Diese Silos haben unterschiedliche Zielgrößen, je nach Abteilung. Eine Marketingabteilung hat andere Ziele als eine Vertriebsabteilung oder eine medizinische Abteilung. Dies alles zusammenzubringen und zu standardisieren, ist eine große Herausforderung. Hier wollen wir mit unserer Technologie und Software unterstützen.

Health Relations: Wie kann man konkret die Standardisierung und die Kommunikation zwischen Abteilungen unterstützen?

Dr. Jörg Mütze: Einerseits durch die Nutzung einheitlicher Taxonomien und andererseits durch die Verbindung der Softwarelösungen. Zum Beispiel sollte ein Pharmareferent wissen, was die Marketingabteilung an seine Kunden kommuniziert. Am Ende geht es immer um ein gutes Kundenerlebnis. Wenn eine Ärztin oder einen Arzt eine E-Mail von der Marketingabteilung erhält und am nächsten Tag der Pharmareferent nichts davon weiß, führt das zu Frustration. Unsere Lösung sorgt dafür, dass solche Informationen transparent und zugänglich sind.

Health Relations: Gibt es Ihrer Meinung nach Besonderheiten im deutschen Markt?

Dr. Jörg Mütze: Ja, absolut. Es gibt zwei Hauptaspekte, die hier besonders auffallen. Erstens ist Deutschland in Sachen Digitalisierung oft etwas vorsichtiger, langsamer und konservativer als andere Märkte. Das spiegelt sich auch in der Pharmaindustrie wider und in Modellen, wie Pharmareferenten mit Ärzt:innen sprechen. Dies liegt zum Teil an der Kundenseite, also den Ärztinnen und Ärzten, die oft älter sind und weniger technikaffin. Doch wir sehen auch, dass mehr und mehr Jüngere, die mit dem Internet und Smartphones aufgewachsen sind, offener für technologische Lösungen werden.

Health Relations: Können Sie ein Beispiel nennen, wie Digitalisierung in Deutschland erfolgreich umgesetzt wurde?

Dr. Jörg Mütze: Ein schönes Beispiel ist die Einführung des elektronischen Rezepts. Diese Digitalisierungslösung wurde landesweit ohne große Schwierigkeiten ausgerollt, was zeigt, dass solche Schritte zur Digitalisierung auch in Deutschland erfolgreich durchgeführt werden können.

„Deutschland ist in Sachen Digitalisierung oft etwas vorsichtiger, langsamer und konservativer als andere Märkte.“

Health Relations: Sie führen auch regelmäßig Datenanalysen durch. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse daraus?

Dr. Jörg Mütze: Unsere Analysen zeigen, dass in Deutschland zunehmend digitale Kanäle und Interaktionen genutzt werden. Etwa ein Drittel der Ärzt:innen ist offen für eine Kommunikation, die eine Mischung aus persönlichen und digitalen Gesprächen umfasst. Im Vergleich zu anderen Ländern wird jedoch immer noch viel weniger über Video kommuniziert, was zeigt, dass hier noch großes Potenzial besteht.

Health Relations: Viele Pharmaunternehmen erleben, dass der Zugang zu Ärzt:innen schwieriger geworden ist. Sehen Sie das auch so?

Dr. Jörg Mütze: Der Zugang wird schwieriger. Heute erreichen Pharmaunternehmen nur etwa die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte, die sie erreichen könnten. Die meisten sprechen maximal mit drei verschiedenen Unternehmen. Für Pharmaunternehmen ist es eine große Herausforderung, den Kontakt herzustellen, zu halten und zu pflegen. Dies erfordert eine hohe Wertschätzung für den Arzt und dessen individuellen Bedürfnissen.

Health Relations: Hat sich diese Situation seit der Pandemie verändert?

Dr. Jörg Mütze: Ja, definitiv. Seit der Pandemie ist es noch schwieriger geworden. Ärzte erwarten nun, dass ihre individuellen Bedürfnisse und Kommunikationspräferenzen berücksichtigt werden. Einige bevorzugen Videoanrufe, andere ein persönliches Treffen und wieder andere wollen nur per E-Mail kommunizieren. Es ist wichtig, dass Unternehmen alle möglichen Kanäle nutzen und genau wissen, welche Art der Kommunikation der oder die einzelne bevorzugt.

Chatfunktion für Ärzt:innen als Trend

Health Relations: Schauen wir einmal auf den amerikanischen Markt. Können Sie ein Beispiel aus den USA nennen, das in Deutschland Schule machen könnte?

Dr. Jörg Mütze: In den USA haben wir eine Chatfunktion eingeführt, die wie WhatsApp funktioniert, aber Compliance-konform ist. Damit können Ärzt:innen einfach und schnell mit Pharmareferenten kommunizieren. Dies erleichtert den Kontakt erheblich, da die Ärztin oder der Arzt sofort Antworten auf seine Fragen bekommt, statt auf den nächsten Besuch des Referenten warten zu müssen. Ich glaube, dass eine solche Lösung auch in Deutschland erfolgreich sein könnte.

Health Relations: Denken Sie, dass das in Deutschland bald umgesetzt wird?

Dr. Jörg Mütze: Ich denke schon. Es gibt bereits viel Kommunikation über WhatsApp, die allerdings oft nicht Compliance-konform ist. Eine Lösung wie unsere, die sicher und gesetzeskonform ist, wäre ein großer Schritt nach vorne.

Health Relations: Ist die USA ein guter Markt, um neue digitale Lösungen zu testen?

Dr. Jörg Mütze: Ja, definitiv. Die USA sind generell sehr aufgeschlossen, was Digitalisierung angeht. Dort herrscht eine Kultur, die offen für technologische Innovationen ist.

Health Relations: Sehen Sie Trends, die auch für Deutschland wichtig werden könnten?

Dr. Jörg Mütze: Ein spannender Trend, den wir aus den USA sehen, ist das starke Wachstum der sogenannten Specialty Drugs. Das sind Medikamente für seltene und oft komplexe Krankheiten. Weltweit sind über 8000 dieser Medikamente in der Entwicklung. Die Herausforderung besteht darin, die damit einhergehenden kleineren Patientengruppen zu identifizieren und die den behandelnden Ärzt:innen diese komplexen Medikamente effektiv zu erklären. Hier kommen digitale Kanäle ins Spiel, die es ermöglichen, Informationen effizient und zielgerichtet zu verbreiten.

 


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