Weibliche Medizin der Zukunft: „Wir sind noch nicht richtig gleichberechtigt“
Noch immer fällt es Ärztinnen schwer, die gläserne Decke zu durchstoßen und Spitzenpositionen in Krankenhäusern einzunehmen. Wie muss sich die Arbeit verändern, damit Ärztinnen mehr Führungspositionen in der Krankenhauslandschaft einnehmen können?
Die Zahl der Krankenhausärztinnen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Die Zahl der Ärztinnen in Spitzenpositionen in Krankenhäusern steigt dagegen nur sehr langsam. Noch immer sind Medizinerinnen nicht richtig gleichberechtigt, müssen mehr leisten und stecken eher zurück, wenn es darum geht, Karriere machen. Dr. med. Christiane Groß, M.A., Präsidentin des Deutscher Ärztinnenbund e.V. wünscht sich mehr Unterstützung von männlichen Kollegen, aber auch mehr Mut von Ärztinnen, sich um Chefsessel zu bewerben. Health Relations: Man liest es überall: Die Medizin der Zukunft ist weiblich. Sehen Sie das auch so?Dr. med. Christiane Groß: Ich wehre mich immer gegen die Formulierung, die Zukunft der Medizin sei weiblich. Wenn wir genau hinsehen und uns Hebammen, Krankenschwestern und Hebammen anschauen, ist sie schon lange weiblich. Das Einzige, was sich ändert, ist, dass wir seit einigen Jahren zunehmend mehr Ärztinnen ausbilden. Wir sind jetzt bei einem Anteil von fast 50 Prozent Ärztinnen in der berufstätigen Ärzteschaft. Der Prozentsatz wird noch weiter steigen. Health Relations: Hat der steigende Frauenanteil Auswirkungen auf die Gestaltung der Arbeitswelt im Krankenhaus?Dr. med. Christiane Groß: Ich denke nicht, dass die Veränderungen in der Arbeitswelt nur Ärztinnen zuzuschreiben sind. Es gibt mittlerweile eine völlig andere innere Haltung der gesamten jüngeren Ärztegeneration, die mehr Wert auf einen Ausgleich zwischen Beruf und Privatleben legt. Dazu kommt natürlich, dass Frauen – ich sage jetzt leider – immer noch eher als Männer in Teilzeit gehen, sobald Kinder da sind. Es sind also nicht nur die Ärztinnen, die die Gestaltung der Arbeitswelt im Krankenhaus verändern, aber die Ärztinnen – und nicht zuletzt der Deutsche Ärztinnenbund – haben das Thema Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf schon lange in den Mittelpunkt gestellt. Health Relations: Was bedeutet das für die Krankenhäuser?Dr. med. Christiane Groß: Die Krankenhäuser müssen dafür sorgen, dass ihre Stellenpläne so beschaffen sind, dass Ausfälle nicht auf dem Rücken derjenigen ausgetragen werden, die bleiben. Das heißt, es müssen Teilzeitstellen ausgeglichen werden und eventuelle Krankheitsfälle, oder auch Schwangerschaften mit in die Planungen einfließen. Ich weiß, das ist eine weitreichende Forderung, aber bisher hat man sich immer darauf verlassen, dass Ärztinnen und Ärzte für die Patientenversorgung da sind und schlecht "Nein" sagen können, wenn es um die Patientinnen und Patienten geht. Health Relations: Es braucht also eine bessere Planung. Was noch? Dr. med. Christiane Groß: Man muss auch dafür sorgen, dass die medizinischen Berufe wieder attraktiver werden. Über Jahre oder sogar Jahrzehnte konnte man den Eindruck gewinnen, dass es Interesse der Politik sei, die Wertschätzung für den ärztlichen Beruf zu reduzieren. Werden Berufe weniger wertgeschätzt, nimmt die Zahl der interessierten Männer ab. Leider hat ein Teil der Ärzteschaft auch sehr lange und sehr laut gejammert. Und mit Jammern macht man einen Beruf auch uninteressant. Health Relations: Wie ist Ihre Erfahrung, sind familienfreundliche Krankenhäuser attraktivere Arbeitgeber für Ärztinnen?Dr. med. Christiane Groß: Ich weiß, dass sich Familienfreundlichkeit unter den Ärztinnen und Ärzten herumspricht. Ich bin der Meinung, dass man als Krankenhausverwaltung genau mit solchen Merkmalen in die Öffentlichkeit gehen und für sich Werbung betreiben sollte. Danach wird mit den Füßen abgestimmt. Es gibt das Label "Familienfreundliches Krankenhaus", das allein reicht aber nicht, wenn die Familienfreundlichkeit nicht gelebt wird. Dazu braucht es Kindergartenplätze auch zu unüblichen Zeiten, sichere Arbeitszeiten, verlässliche Dienste und berechenbare Vertragsverlängerungen. Wenn die Krankenhäuser das einrichten, finden sie auch genügend Personal. Health Relations: Obwohl es künftig so viele Ärztinnen geben wird, sind die Führungsriegen in Krankenhäusern immer noch sehr spärlich mit Frauen besetzt. Sie haben kürzlich dazu noch einmal aktuelle Zahlen erhoben. Mit welchen Ergebnissen?Dr. med. Christiane Groß: Wir haben gerade ein Update der DÄB-Dokumentation für die "Medical Women on Top" herausgebracht. Die Zahlen besagen, dass wir in Bezug auf die Chefärztinnen in Universitätskliniken in den letzten drei Jahren eine Steigerung um drei Prozentpunkte auf 13 Prozent feststellen konnten. Dabei gibt es immer noch Unikliniken, die keine Frau auf einem Lehrstuhl bei den Hauptfächern haben. Unter den medizinischen Dekanen aller Universitätskliniken gibt es bezeichnenderweise gar keine Frau. Persönlich habe ich den Eindruck, dass in den Spitzenpositionen der Krankenhausverwaltungen mehr und mehr Frauen anzutreffen sind. Dazu haben wir aber noch keine Zahlen. Health Relations: Warum sind Frauen in den Chefetagen der Kliniken immer noch unterrepräsentiert?Dr. med. Christiane Groß: Neben anderen Gründen liegt viel daran, dass es für Frauen noch schwerer ist, Beruf und Privatleben vereinbaren. Kinder bedeuten oft den wichtigsten Karriereknick. Es gibt ganz viele Frauen, die das Gefühl haben, bei ihrem Kind bleiben zu müssen oder das auch wollen. Viele schaffen es nicht, beides zu vereinbaren, weil die Gewichtung oft in Richtung Familienarbeit geht. In Deutschland tun wir uns damit besonders schwer. Nicht zuletzt ist Deutschland das einzige Land, das den Begriff der „Rabenmutter“ verwendet. Viele junge Ärztinnen stehen der Entscheidung, wieder arbeiten zu gehen, sehr ambivalent gegenüber. Das verändert sich aber erst langsam. Health Relations: Woran liegt das?Dr. med. Christiane Groß: Es gibt inzwischen viel mehr Arzt-Arzt-Paare als früher. Die junge Generation setzt sich mehr damit auseinander, dass beide arbeiten und Karriere machen wollen. Das ist aber auch die Chance, die Familienarbeit ein bisschen besser zu verteilen. Wenn ich in die Realität schaue, sind es jedoch meist die Frauen, die die Arbeitszeit reduzieren. Ein weiterer nicht minder wichtiger Grund ist, dass Frauen sehr viel kritischer mit sich selbst und ihren Qualifikationen sind, wenn sie sich auf Stellen bewerben. Und dann kommt hinzu, dass sie oft mit Gegenwind rechnen müssen, wenn sie sich um Chefstellen bemühen und sich das schlicht nicht antun wollen. Außerdem muss eine Frau ihre Kompetenz auch mehr beweisen als ein Mann. An dieser Stelle sind wir noch nicht gleichberechtigt. Health Relations: Was wünschen Sie sich für die Zukunft, damit es für Ärztinnen leichter wird, sich den Platz in der Arbeitswelt zu erobern, der ihnen zusteht? Dr. med. Christiane Groß: Ich denke, es geht über eine veränderte Einstellung, der Frauen und der Männer. Die Gesellschaft weiß inzwischen was Frauen aufgeben, wenn sie pausieren, um Kinder zu bekommen. Ich wünsche mir dahingehend mehr Sensibilität von den Männern. Von den Frauen wünsche ich mir mehr Mut, sich auch für Spitzenpositionen zu bewerben und sich mehr dafür einzusetzen, diese zu erhalten. Außerdem wünsche ich mir mehr weibliche Vorbilder in Spitzenpositionen, die dann jüngere Ärztinnen motivieren.Der 1924 gegründete Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) hat regional, national und international die Rahmenbedingungen für Ärztinnen und Zahnärztinnen sowie Studentinnen der Human- und Zahnmedizin im Blick. Der DÄB setzt sich als zuverlässiges Netzwerk für Beruf, Karriere und Weiterbildung für bessere Rahmenbedingungen für Ärztinnen im Beruf und eine nach Geschlecht differenzierende Gesundheitsforschung und -versorgung ein.