sphin-X: Ein kollaborativer Datenraum mit viel Potenzial für Pharma

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Maro Bader Roche
Maro Bader ist Excellence Lead Digital Transformation bei Roche. Er sagt: "Wir erleben, dass viele Unternehmen, Initiativen, Forschungsverbünde und Leuchtturmprojekte auf eigene Faust versuchen, diese großen Themen individuell zu lösen. Das ist teuer, das ist komplex, das ist langwierig und skaliert letztendlich eben nicht." © Roche / © Canva
Die Plattform sphin-X soll ein kollaborativer Datenraum für verschiedene Akteure im Gesundheitswesen sein. Maro Bader, Roche Pharma, sieht großes Potenzial in dem Projekt. Auch, weil das Rad nicht neu erfunden werden muss.

Sphin-X  steht für secure platform for health information eXchange. Dahinter steckt die Idee eines kollaborativen Datenraums für das Gesundheitswesen, von dem alle Beteiligten profitieren sollen. Zum Beispiel um Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen umzusetzen oder Daten für Forschungszwecke zu erhalten.  Das Projekt ist beim BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. angesiedelt und Teil der Initiative Gesundheit Digital, einer Art Zukunftslabor und Think-Tank. Rund 40 verschiedene Partner unterstützen das Projekt derzeit, darunter sind neben Roche auch weitere Pharmaunternehmen wie Johnson & Johnson, Amgen, Novartis, Takeda, MSD und Boehringer Ingelheim.

Maro Bader von der Roche Pharma AG hat das Projekt von Beginn an begleitet und vorangetrieben. „In den letzten drei Jahren haben wir gemerkt, dass klassische politische Arbeit wichtig ist, aber nicht ausreicht. Wir wollen eine aktivere Rolle einnehmen.“ Deshalb hat das Unternehmen – zusammen mit anderen Pharma- und Medizintechnikunternehmen  – vor rund drei Jahren angefangen, sich zu engagieren. Bader ist im Bereich Excellence Lead Digital Transformation, Health System & Governmental Affairs tätig. Die Transformation ist also sein Thema und von sphin-X verspricht er sich viel. Zumal, so sagt er, er das Rad nicht neu erfinden muss. Die Initiative nutzt als Basis die Kriterien von Gaia-X. Die internationale Verbindung aus Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik erarbeitet Rahmenbedingungen für eine europäische Dateninfrastruktur. Sie testet und zertifiziert Prozesse, Software und Tools, um sicherzustellen, dass sie den europaweiten gesetzlichen Anforderungen in Sachen Datenschutz und Datensouveränität entsprechen.  Und noch etwas stimmt Maro Bader optimistisch: Andere Branchen haben bereits vorgemacht, wie genau kollaborative Datenräume funktionieren können. Dabei hat er vor allem die Mobilitätsbranche im Blick. Diese habe mit dem Catena-X Automotive Network quasi die Blaupause für sphin-X geschaffen.

Was ist Catena-X?
Catena-X ist ein offener und kollaborativer Datenraum für die Automobilindustrie – für optimierte Geschäftsprozesse durch datengesteuerte Wertschöpfungsketten. Er ist hochgradig standardisiert und setzt auf eine modulare Use-Case-Architektur. Das zahlt in die Agilität und Nutzerfreundlichkeit ein. Das Ziel: reduzierte Time-to-Market und Implementierungskosten und Raum für Innovationen.

Von der Idee zur Plattform: Wo steht sphin-X?

Porträt von Rabea Knorr, die das Projekt sphin-X mit initiiert hat.
„sphin-X motiviert uns zu Höchstleistungen.“ Rabea Knorr leitet die Abteilung Industrielle Gesundheitswirtschaft beim BDI. © bdi

Es gibt also Vorbilder, Strukturen, auf denen man aufbauen kann und tatkräftige Partner. Wie genau aber steht es um sphin-X? Hier kommt Rabea Knorr ins Spiel. Sie leitet die Abteilung Industrielle Gesundheitswirtschaft innerhalb des BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., bei ihr laufen die Fäden zusammen. „Wir sind schon weit vorangekommen“, sagt sie. „Ende des Jahres planen wir, die Initiative in einen eigenen Verein zu überführen.“ Dieser soll künftig das Community Building vorantreiben und eine Plattform bieten, um neue Anwendungsfälle zu diskutieren. Der Zeitplan ist ambitioniert.  Aber: „Die Gestaltung der Satzung, die Definition von Standards, auf die wir uns im Datenraum festlegen, das alles steht bereits bzw. wird intensiv diskutiert.“

„Stellen wir uns mal vor, dass wir nicht mehr über das Ob streiten, sondern konstruktiv und zielführend über das Wie debattieren.“

Man ist also bereits mitten in der Umsetzung – und die Erwartungshaltung der Teilnehmenden an sphin-X sind klar umrissen. „Uns geht es um die Frage, wie die Nutzung, Verknüpfbarkeit und Qualität von Daten für übergeordnete Anwendungsfälle verbessert werden und welchen Beitrag wir selbst dazu leisten können“, fasst Maro Bader zusammen. „Im Moment stehen wir mit diesen Herausforderungen einer segmentierten und fragmentierten Systemlandschaft gegenüber, die es offensichtlich erschwert, die notwendigen Schritte der Verbesserung umzusetzen.“

Warum braucht es noch einen Datenraum?

Die Idee eines gemeinschaftlichen Datenraums ist nicht neu. Es gibt bereits Initiativen wie den European Health Data Space. Warum also braucht es überhaupt eine weitere Plattform? „Die Use Cases, die wir uns genauer anschauen, gehen weit über den Scope des EHDS oder der Gematik hinaus und werden durch diese Systeme nicht vollständig abgedeckt oder umgesetzt“, erläutert Maro Bader. „Beispielsweise das Thema klinische Studien mit den vielen administrativen Prozessen, das Thema Content Management und die Lösungen, wie man Patient:innen für Studien identifiziert. Diese Anwendungen finden jenseits des EHDS oder Telematik statt.“ Leider gibt derzeit keinen Ort, wo eine branchenweite Abstimmung und Zusammenarbeit vorangetrieben wird und zwar unter Einbindung aller Akteure, die es dafür brauche – so seine Einschätzung. „Wir erleben stattdessen, dass viele Unternehmen, Initiativen, Forschungsverbünde und Leuchtturmprojekte auf eigene Faust versuchen, diese großen Themen individuell zu lösen. Das ist teuer, das ist komplex, das ist langwierig und skaliert letztendlich eben nicht. In der Analogie eines Schienennetzes wird klar, dass es schlicht und ergreifend keinen Sinn ergibt, wenn hier nicht mit einheitlichen, abgestimmten Vorgaben und Plänen gearbeitet wird, ohne miteinander zu reden.“

Eine Werkbank für die Transformation

Strukturell arbeitet sphin-X mit verschiedenen Rollen, die die Teilnehmenden besetzen können. Driver sind potenzielle Mitglieder des zukünftigen Vereins, der die Keimzelle für sphin-X sein wird.  Sie bringen finanzielle Mittel, personelle Ressourcen und materielle Unterstützung ein. Die Supporter unterstützen sphin-X aktiv und bilden den engeren Interessentenkreis. Sie setzen außerdem kollaborativ bestimmte Use Cases um. Interessenten werden über das weitere Vorgehen von sphin-X informiert und haben die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt der Organisation beizutreten. Sie sind passive Beobachter. Der Verein verfolgt keine kommerziellen Ziele, will aber eine Art Werkbank für mögliche Geschäftsmodelle sein. „Driver“ können den Verein mitgestalten, haben deshalb aber keine VIP-Rechte oder exklusiven Zugriff auf Daten und Business Cases. Bei diesen kann es sich um die Integration klinischer Datensätze für effiziente Studienplanung drehen, um das Patienten Matching oder um Themen wie Consent Management, also um die automatische Übertragung von Gesundheitsdaten zwischen Leistungserbringern. Auch der Zugriff auf bzw. Austausch von CO2-Footprint-Daten im Gesundheitswesen wäre ein möglicher Use Case. Derzeit definieren die Partner erste Anwendungsfälle, die im Rahmen von sphin-X stattfinden könnten.

Zwischen Kollaboration & Wettbewerb

Nun lässt sich nicht wegdiskutieren, dass Pharmaunternehmen auch Wettbewerber sind.  Wie wollen die Verantwortlichen sicherstellen, dass die großen Geldgeber, darunter eben auch globale Pharmakonzerne, die Plattform nicht zu stark lenken? „Darüber diskutieren wir gerade sehr intensiv und wollen sichergehen, dass wir mit einem starken und unabhängigen externen Beirat die Aufsicht sicherstellen“, sagt Maro Bader. “ Uns ist wirklich daran gelegen, in diesem Verein eine breitere Repräsentation aller im Gesundheitswesen vertretenen Akteure zu schaffen, die für alle aus dem privaten und öffentlichen Raum funktioniert. Stellen wir uns mal vor, dass wir nicht mehr über das Ob streiten, sondern konstruktiv und zielführend über das Wie debattieren.“ Dennoch geht es auch ums Geschäft. „Natürlich sollen im Kontext auch Kommerzialisierungen stattfinden. Es ist aber kein Muss und viele Anwendungen haben keine direkte Monetarisierung, sondern bilden die Grundlage für spätere Innovationen und Wertschöpfungen.“ Im Verein sollen unter Beteiligung aller die Prinzipien, Regeln und Rahmenbedingungen bestimmt werden, die für alle Use Cases von sphin-X gelten. Deren Einhaltung wird zertifiziert, alle Prozesse, die im Verein stattfinden, sollen transparent und auf Augenhöhe stattfinden. „Die Entwicklung der Use Cases findet letztendlich wie gewohnt in separaten Konsortien statt, deren Finanzierung individuell und unabhängig vom Verein sphin-X geregelt wird.“

Fazit

Die Werkbank für Ideen, die das Gesundheitssystem weiterbringen? Im ersten Schritt ist sphin-X für teilnehmende Pharmaunternehmen ein Invest. Langfristig aber kann sich dieser lohnen. Data Sharing kann eine immense Zeit- und Kostenersparnis nach sich ziehen, und das Problem der segmentierten Datenquellen und der Datenqualität eint am Ende alle, die sich hier einbringen möchten und können. sphin-X soll Dinge ins Rollen bringen, und zwar mit Tempo.  „Wir werden nicht erst mit weiteren Überlegungen in Bezug auf Anwendungsfälle starten, wenn der Verein gegründet ist“, sagt Rabea Knorr. „Wir möchten möglichst schnell in die Umsetzung gehen.“

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